Der Preis der Freiheit

Die Inflation. Was hat sie uns in letzter Zeit beschäftigt. Wie viele Menschen beschäftigt sie nach wie vor? Die Preissteigerung hat auf das Leben der Polinnen und Polen einen größeren Einfluss als auf das der Deutschen, ganz der höheren Inflationsrate entsprechend (ganze 13% im Mai gegenüber den 6% hierzulande). Das Geld verliert an Wert. Es gibt jedoch Dinge zwischen Oder und Weichsel, deren Wert grundsätzlich felsenfest zu sein scheint.

Prinzipien

In der Geschichte Polens wurden schon einige Sachen heraufbeschworen, denen man einen unschätzbaren Wert attestierte. Eine davon war die Ehre, die laut Józef [jusef] Beck, dem polnischen Außenminister im Jahr 1939, in ihrer Wertigkeit selbst den Frieden übertreffen sollte (z.B.: https://www.wikiwand.com/de/J%C3%B3zef_Beck). Polen hat als Land mit 6 Millionen Menschenleben und unzähligen Trümmerlandschaften dafür bezahlt. Wobei nicht die Ehre Polens, sondern die Schandtaten der Nazis und der Sowjets ursächlich dafür waren.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts, im Zeitalter der polnischen Teilungen, wurde hingegen die Freiheit großgeschrieben. Und wird es immer noch. Denn den Polinnen und Polen ist nichts wichtiger als frei zu sein. Und das nicht erst seit den Teilungen. “Gebt mir Freiheit oder gebt mir den Tod” soll einst der Amerikaner in spe Patrick Henry an den Englischen Monarchen gerichtet gesagt haben. Ich kenne ca. 40 Millionen Menschen ganz in unserer Nähe, die diese Aussage vorbehaltlos unterschreiben würden.
Heute müssen die Polen für ihre Freiheit nicht mit dem Leben bezahlen. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Aber ihr Freiheitswille wird einmal mehr auf den Prüfstand gestellt. Wie das?

Polnische Wirtschaft

Die polnische Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit ist die niedrigste in der EU (Platzgleich mit Tschechien). Der Mindestlohn(!) soll schon bald an der 1.000 Euro-Marke kratzen. Die Millionen von ukrainischen Flüchtlingen wurden nicht nur untergebracht, sondern auch integriert. Das Land baut eine schlagkräftige Armee auf (für manch einen die stärkste Europas) und klopft bei der G20 an, den zwanzig größten Volkswirtschaften der Welt. Trotzdem kamen am 04.06.2023 rund 500.000 Menschen zusammen, um gegen die Politik der Regierung zu demonstrierten. Wiederholt stellt sich die Frage: Warum?

Wahlwurst

Kennen Sie diesen polnischen Ausdruck? Selbst wenn nicht, können Sie sich sicher gut vorstellen, was er aussagen soll. Nämlich die Wahlgeschenke, die die Politiker den Wählern vor dem Urnengang versprechen. In Polen heißen die Wahlwürstchen aktuell kostenlose Autobahnen, 800 złoty Kindergeld (kaufkraftbereinigt entspricht das in etwa dem Wert von 400 Euro) und kostenlose Medikamente bis zum 18. und ab dem 65. Lebensjahr. Zudem die 13. und die 14. Rente, die von nun an jedes Jahr an die Betreffenden ausgezahlt werden. Das müsste für eine gelungene Grillparty am Wahlabend für die regierende Partei doch reichen, zumal weitere Würste unterwegs seien. Müsste – tut es aber nicht. Abermals: Wie kommt’s?

Vögel im Käfig

‘Warum weinst du denn? – sprach die junge Lerche zu der alten –
“Du hast es jetzt im Käfig besser als auf dem Feld.”
“Du bist darin geboren”, sagte der Alte, “darum will ich dir verzeihen;
Ich war frei, jetzt im Käfig – und darum weine ich”.

Ignacy Krasicki

Dieses aus dem Jahre 1830 stammende Gedicht von Ignacy Krasicki [ignatzi krassitzki] fasst gut zusammen, was gerade in Polen passiert. Den Menschen geht es wirtschaftlich gut. Vielleicht besser denn je. Politisch jedoch fühlen sich viele in ihren Rechten, ja, in ihrer Freiheit zunehmend eingeschränkt.

Halten Sie die Augen offen. Sie werden einige von diesen Menschen, die der Freiheit einen höheren Rang einräumen als dem Monetären bald (wieder)sehen. Und zwar am kommenden Freitag in Posen.