Eigentlich sollte an dieser Stelle ein Gastbeitrag meines guten Freundes aus dem westukrainischen Lemberg erscheinen. Seit Montag hatte er schon versucht seine Gedanken und Beobachtungen zu Papier zu bringen. Keine leichte Aufgabe angesichts der sich überschlagenden, dramatischen Ereignisse.
In Deutschland wurde in den letzten Wochen und Tagen viel über die Energiepolitik und über die Abhängigkeit vom russischen Gas diskutiert. Vieles wurde hinterfragt, einiges auf den Prüfstand gestellt. In den Medien fragte man sich bisweilen, wie es so weit kommen konnte. Big politics und amerikanisches Frackinggas standen unter anderem zur Debatte.
Mein ehemaliger Nachbar aus dem Posener Studentenwohnheim und ich fanden, dass bei all dem die einfachen Ukrainer zu kurz kommen. Deren Leben und Leiden in der unwirklichen Situation einer ständigen Kriegsgefahr sollten deshalb wenigstens innerhalb unseres bescheidenen Rahmens bei polen.pl eine Stimme bekommen. Diesem Ziel sollte der angedachte Beitrag dienen.
Gestern Nacht bekam ich eine Nachricht aus Lemberg, dass der Text nun endlich fertig sei und mir heute zuschickt wird. Heute Morgen weckte mich eine weitere Nachricht aus der Ukraine auf. Ihr Inhalt war kurz und sprach doch Bände. „Mein Text ist obsolet“. Ich schaltete unverzüglich die Nachrichten ein und sah Bilder von russischen Raketenangriffen auf ukrainische Städte.
Polen und die Ukraine haben eine lange Geschichte. Sie war gut und schlecht, hatte viele lichte Momente und einige Schattenseiten. Sie war und ist vor allen Dingen aber eins: Gemeinsam. Doch Polen ist nicht nur historisch mit der Ukraine verquickt. Seit Jahren leben und arbeiten viele Ukrainer in ganz Polen und füllen die Lücken auf, die die polnische Abwanderung nach Westen nach dem EU-Beitritt 2004 hinterlassen hat.
Die Ukrainer sind längst zu einem festen Bestandteil der polnischen Gesellschaft geworden. Ihre Belange sind nunmehr die unseren. In Warschau sind bereits die ersten Züge mit ukrainischen Kriegsflüchtlingen angekommen.
Vorgestern, am Dienstag, schickte mir mein Freund Bilder von der wunderschönen Lemberger Altstadt und schrieb lakonisch: „Wie sich das alles morgen ändern kann“. Putin erklärte kurz zuvor höhnisch, in Europa beginne man keine Kriege an einem Mittwoch.
Er hat also bis Donnerstag gewartet.
Was ändert sich nun in Europa?
Wir alle sind heute im 20. Jahrhundert aufgewacht. Die Frage lautet nur: in welchem Jahr.
Bogdan, es tut mir leid. Ich werde dieses Jahr wohl wieder nicht nach Lemberg kommen können…