Auch, wenn der Satz etwas überspitzt ist: “Polen? Kenn ich nicht…” bringt zum Ausdruck, was viele Deutsche mit Polen in Verbindung bringen. Nämlich nichts. Er erinnert mich auch an eine Begebenheit in Warschau. Diese liegt einige Jahre zurück. Sie hat bis vor Kurzem in meinen Augen viel an Aktualität verloren. Wie gesagt: Bis vor Kurzem.
Im Folgenden lesen Sie ein Statement, das sehr subjektiv ist. Es stützt sich nicht unbedingt auf umfassende und fundierte Untersuchungen. Allerdings gibt es einige Indizien: Im aktuellen Deutsch-Polnischen Barometer der Konrad-Adenauer-Stiftung, des Deutschen Polen-Instituts und anderen Partnern schwingt es zumindest im Hintergrund mit. Es ist eine Ansammlung von persönlichen Beobachtungen, die alle einen gemeinsamen Nenner haben. Es ist die deutsche Unkenntnis über Polen. Und es ist der mangelnde Wille, diese zu beseitigen. Dabei wäre es doch manchmal so einfach!
Wenn er so gut war, warum haben wir dann nichts von ihm gehört!?
Es ist einige Jahre her, als ich mit einer Gruppe deutscher Jugendlicher in Warschau weilte. Wir nahmen an einer Stadtbesichtigung teil und blieben gerade am Denkmal von Adam Mickiewicz stehen. Um Mickiewicz zu beschreiben, reicht im Grunde zu sagen, dass er für die Polen das ist, was Goethe für die Deutschen. Als der Guide uns also auf das Denkmal aufmerksam machte und von Mickiewicz und seinen Werken zu schwärmen begann, geschah es: Einer unserer Teilnehmer grätschte ihm unverblümt mit der oben zitierten Frage dazwischen. Ich erinnere mich nicht mehr an die Antwort des Fremdenführers, dafür aber sehr wohl an meine Verwunderung. Über die Frage, versteht sich. Heute, ehrlich gesagt, wundere ich mich, wieso ich mich damals gewundert habe.
Kalima Skolimowskaja und Spasiba
Es war einige Jahre vor dem Warschauer Ausflug. Olympische Spiele in Sydney. Die Polin Kamila Skolimowska erringt Gold im Hammerwurf. Nicht ihre erste Auszeichnung auf der internationalen Bühne und auch nicht die letzte. Als fleißiger und überaus gewissenhafter Oberstufenschüler (bitte nicht bei meinen Lehrern nachfragen!) hatte ich viel zu tun. Daher hatte ich keine Zeit, den Wettbewerb live im Fernsehen zu verfolgen. Ich sah deshalb im Anschluss die Ergebnisse im Videotext eines Privatsenders nach (ja, ja, im Jahr 2000 lief für private Haushalte noch nicht viel mit dem Internet – zumindest nicht in Bielefeld). Ich kann nicht beschreiben, welche Gefühle mich ergriffen, als ich auf der Seite mit den Wettbewerbsergebnissen auf dem ersten Platz beim Hammerwurf eine gewisse Dame namens Kalima Skolimowskaja erblickte. Es waren jedenfalls keine guten Gefühle. Gut war allerdings die Tatsache, dass ich zumindest auf diese Weise erfuhr, wie Kamila Skolimowska auf Russisch heißen würde. Vermutlich.
Apropos Russisch. Es ist keine Seltenheit und ehrlich gesagt auch nicht sonderlich verwunderlich, dass für ein ungeschultes deutsches Ohr Polnisch und Russisch schwer auseinander zu halten sind. (Keine Sorge, liebe Deutschen, die Polen können Russisch und Ukrainisch auch kaum voneinander unterscheiden.) Es ist aber durchaus kurios, wenn ein Reporter dies nicht tut, selbst wenn er nur versucht, nett zu sein. So wie ein gewisser Berichterstatter eines großen Sportsenders, der nach einer Dakar Rally-Etappe den polnischen Fahrer Krzysztof Hołowczyc interviewte und sich mit dem russischen „spasiba“ für das Gespräch bedankte. Gleiches ist mir übrigens schon häufig passiert. Praktisch jedes Mal, wenn ich mir mit meinem Besuch aus Polen einen gemütlichen Abend in einer deutschen Kneipe mache. Die Bedienung verabschiedet sich fast immer mit einem fröhlichen „doswjedania“ von uns. Es sei denn, sie stammt aus Russland, dann nicht.
Wie war das noch mit dem Petroleum?
Nun aber zur Sendung, die der eigentliche Auslöser dieses Beitrags geworden ist.
Erdöl und seine industrielle Erschließung haben den Lauf der Dinge revolutioniert. Benzin ist schließlich (noch) der Stoff, der unsere Welt in Bewegung setzt. Kein Wunder also, dass die Geschichte seiner Herstellung und Verarbeitung von vielen für sich beansprucht wird. Der deutsche Blick wandert in diesem Fall, so wie in vielen anderen Fällen (ich möchte hinzufügen – zu Recht), über den Atlantik, genauer nach Texas, aber eben auch zum niedersächsischen Wietze, wo das Erdöl bereits Mitte des XIX Jh. im großen Maße gefördert wurde.
Das dem so war, sowie viele andere spannende Tatsachen nicht nur rund ums Erdöl, konnte man unlängst aus einer sehr interessanten (und auch aufwändig produzierten) Sendung „Anthropozän – das Zeitalter des Menschen“ im öffentlich-rechtlichen ZDF erfahren. Was man allerdings nicht aus ihr erfahren konnte, war der Pionierbeitrag eines gewissen Ignacy Lukasiewicz, dem Erfinder der Petroleumlampe. Er hat nachweislich als Erster das klebrige und unangenehm riechende Zeug industriell verarbeitet, sodass die allerersten Bohrtürme nicht etwa in Texas oder Wietze, sondern im ostpolnischen Bóbrka nahe der Stadt Krosno, aus dem Boden sprießten.
Über die Geschichte der industriellen Verarbeitung von Erdöl und dem beträchtlichen polnischen Beitrag dazu können Sie in dieser Fotostrecke des SPIEGEL mehr lesen.
Um eins klarzustellen: Der vorliegende Text soll weder eine Standpauke noch eine Aufforderung sein, den östlichen Nachbarn von jetzt an zu beweihräuchern. Das tut er selbst bisweilen nur zu gut. Also Nein, darum geht es nicht. Der Text, dessen letzte Sätze Sie gerade lesen, versteht sich mehr als ein Plädoyer, eine Anregung dafür, Polen und den Polen mehr Präsenz in der deutschen (Gedanken-)Welt einzuräumen, insbesondere in Bereichen, um die sie sich wirklich verdient gemacht haben. Das könnte reichen, um Vor- und Nachnamen nicht zu verdrehen, Fragen wie die nach Adam Mickiewicz vorzubeugen und polnische Beiträge zu Wissenschaft und Wirtschaft zu würdigen, vor allem dann, wenn man eigentlich eine Sendung über sie macht.