Wann immer sich die Gespräche dieser Tage um deutsch-polnische Themen drehen, rückt früher oder später das Thema Geschichtspolitik in den Vordergrund: Wieviel Einfluss vonseiten des Staates oder einer einzelnen Partei auf historische Institute oder Museen ist in Ordnung? Welche Narrative sollen erzählt werden?
Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, Florian Mausbach, gehört zu den Mitinitiatoren eines Aufrufs, der heute der Öffentlichkeit vorgestellt wird: Insgesamt 77 Persönlichkeiten aus Politik, Forschung und Zivilgesellschaft fordern „den Deutschen Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit“ dazu auf, ein „Denkmal zum Gedenken an die polnischen Opfer der deutschen Besatzung 1939-1945“ in Betracht zu ziehen. Unter den Unterzeichnern befinden sich zahlreiche ehemalige Minister und aktuelle Bundestagsmitglieder aus insgesamt vier Parteien.
Mit dem Askanischen Platz gegenüber des Deutschlandhauses, dem geplanten Standort des Zentrums „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ und vor dem Kriegsmahnmal, dem Portal des zerstörten Anhalter Bahnhofs, gebe es einen passenden Standort. „Mit einem würdigen Polen-Denkmal am Askanischen Platz würde ein deutsch-polnisches Zeichen gesetzt, das Krieg, Vernichtung, Flucht, Vertreibung und Versöhnung in den untrennbaren Zusammenhang von Ursache und Wirkung stellt,“ heißt es im unten dokumentierten Aufruf. So könne auch der Streit um das Dokumentationszentrum beendet werden „als Voraussetzung einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen in der historischen Aufarbeitung des Krieges und seiner Folgen.“
Wir hatten die Gelegenheit, Florian Mausbach vor der Veröffentlichung des Aufrufs zu der Initiative zu befragen:
Polen.pl: Warum braucht es ein separates Denkmal zum Gedenken an die polnischen Opfer der deutschen Besatzung?
Florian Mausbach: Der anhaltende Streit um das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung zeigt, dass es in Deutschland an Verständnis und Wissen fehlt, was die Besatzung 1939-45 betrifft. Der Blick in den Abgrund schreckt und wird verdrängt. Das Unrecht der Vergangenheit anzuerkennen aber ist die Voraussetzung für eine vorausblickende Politik.
Ich möchte dazu gerne den Vorsitzenden der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Franken, Froben D. Schulz, aus dem Jahr 2007 zitieren. Der sagte: „Wenn in Berlin jetzt nach dem Denkmal für die Holocaustopfer auch Denkmäler für die homosexuellen Opfer und für die Sinti- und Roma-Opfer gebaut werden und zeitgleich der Vertreibungen und ihrer Opfer gedacht werden soll, so kann gar nicht anders in Polen gefragt werden: ‚Wo bleiben wir? Werden wir sogar, wenn auch nicht offen, als Täter bei dem Zentrum gegen Vertreibungen präsent sein und sonst nicht – nicht als Opfer?‘
Hier liegt die Crux für die Vorbehalte der Polen. [In Berlin müsste es] eine zentrale Gedenkstätte, eingebunden mit den polnischen KZ-Opfern und allen Naziopfern auf polnischem Boden […] geben. Ich glaube fest, dann gäbe es auch keine Vorbehalte gegen ein Zentrum gegen Vertreibungen.“
Das Thema muss Sie doch aber auch persönlich bewegen.
Persönlich war ich immer politisch engagiert und interessiert. So habe ich als Leitender Baudirektor der Stadt Frankfurt am Main Mitte der 80er Jahre einen Vorschlag für ein Mahnmal zum Gedenken an die ermordeten Frankfurter Juden gemacht, das an der Mauer des Jüdischen Friedhofs verwirklicht worden ist (Neuer Börneplatz). Vor etwa 20 Jahren habe ich den Vorschlag für ein Denkmal der Friedlichen Revolution auf der Berliner Schlossfreiheit gemacht, mit anderen zusammen eine Initiative gegründet und einen Aufruf verfasst. Der Bundestag hat es schließlich beschlossen. Und vor zwei Jahren habe ich als Pensionär eine deutsch-polnische Initiative gegründet zum Wiederaufbau des ersten modernen Bauwerks von Ludwig Mies van der Rohe in Gubin 1926.
Wie haben die insgesamt 77 Erstunterzeichner*innen auf den Vorschlag reagiert?
Erstaunlich positiv. Die oft sehr deutliche Zustimmung, so z. B. vom nunmehr ehemaligen Aussiedler-Beauftragten Hartmut Koschyk, zeigt, dass es offenbar der richtige Zeitpunkt für die Initiative ist. Es gab auch einzelne Anregungen zu dem von mir verfassten Aufruf, insbesondere von Historikern zu dem historischen Teil.
Gab es ablehnende Reaktionen?
Es gab keine grundsätzlichen Ablehnungen, sondern Bedenken einzelner weniger Nichtunterzeichner wegen befürchteter möglicher weiterer Denkmalforderungen von Seiten anderer Opfernationen. Auf deren Bedenken wurde von mir und den Mitinitiatoren geantwortet und deutlich gemacht, dass Polen ein besonderer Fall ist, der auch gesondert gewürdigt werden muss. Es gab auch zwei Alternativ-Vorschläge: Das “Denkmal des polnischen Soldaten und des deutschen Antifaschisten“ in Berlin-Friedrichshain umzugestalten oder statt eines Denkmals ein Museum zu errichten.
Welche Reaktionen gab es bislang aus Polen?
Es gab auf der Titelseite der Gazeta Wyborcza einen ersten Bericht. Interessant der Hinweis mit einem historischen Foto auf den Anhalter Bahnhof, wo im August 1939 Molotow mit militärischen Ehren empfangen wurde zur Unterzeichnung des Geheimprotokolls zur Aufteilung Polens. Am 1. September 1939 folgte der deutsche Übrfall auf Polen. heute erinnert die Kriegsruine des Anhalter Bahnhofs im Hintergrund des Denkmal-Standorts daran.
Anbei dokumentieren wir den Aufruf in deutscher und polnischer Sprache sowie die Liste der Erst-Unterszeicher*innen:
- Aufruf an den Deutschen Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit: Ein Polen-Denkmal in der Mitte Berlins zum Gedenken an die polnischen Opfer der deutschen Besatzung 1939-1945
- Apel do Bundestagu i niemieckiego społeczeństwa ws. wzniesienia Pomnika ku Czci Polaków w centrum Berlina upamiętniającego polskie ofiary okupacji niemieckiej w latach 1939-1945
- Unterzeichner des Aufrufs
UPDATE: Mittlerweile finden sich alle Informationen rund um die Initiative inkl. stetig aktualisierter Liste von Unterstützer*innen auf www.polendenkmal.de.
Nachtrag 30.10.2020 (Pressemeldung Deutsches Polen Institut):
Nach mehrjährigen Debatten und Auseinandersetzungen hat sich der Deutsche Bundestag heute für die Errichtung eines „Ortes des Erinnerns und der Begegnung“ mit Polen ausgesprochen. „Dies ist ein Durchbruch“, sagt Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D. und Präsidentin des Deutschen Polen-Instituts. „Endlich entsteht in der Mitte Berlins ein Ort, an dem wir uns mit Polen beschäftigen können: Sowohl mit den schrecklichen Ergebnissen deutscher Herrschaft in Polen als auch mit den so engen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern in Gegenwart und Zukunft.“
Rita Süssmuth weiter: „Wir sind froh und dankbar für diesen Beschluss, auf den wir lange warten mussten. Unserem Parlament gilt großer Dank. Damit ist eine neue Stufe der Begegnung zwischen Deutschen und Polen erreicht. Politik und Zivilgesellschaft werden jetzt gemeinsam an der Umsetzung arbeiten.“