Teschen, das ist heute zum einen das polnische Cieszyn und zum anderen Češký Tĕšín. Die geteilte polnisch-tschechische Stadt war Ziel einer Studienreise, die vom 12. bis 15. September 2013 von Ariane Afsari vom Deutschen Kulturforum östliches Europa sowie von Dorothee Ahlers von der Universität Passau organisiert wurde.
Teschen – Cieszyn – Češký Tĕšín. Eine multikulturelle und multikonfessionelle Stadt
Die heutige Stadt Češký Tĕšín hat 26.000 Einwohner und befindet sich geographisch im äußersten Osten der Tschechischen Republik, etwa vier Zugstunden von der Hauptstadt Prag entfernt. Cieszyn im Süden Polens, in der Nähe von Katowice (Kattowitz), hat 36.000 Einwohner und ist mit mehreren Brücken über den Grenzfluss Olsa mit der tschechischen Stadt verbunden. Dank EU und Schengener Abkommen kann man einfach zu Fuß die Grenze überqueren. Wie einst das Mittelmeer Zentrum und Bindeglied einer Region war, in der Gegenwart hingegen als „natürliche Grenze“ zwischen Europa und Afrika angesehen wird, veränderte sich auch die Bedeutung der Olsa von einer gemeinsamen Lebensader zum Grenzfluss. Dank der Europäischen Union und dem Schengener Abkommen kann diese Grenze jedoch als kaum als solche wahrgenommene bequem zu Fuß überquert werden.
Gründungslegende
Gegründet wurde Teschen der Legende nach im Jahr 810 von den drei Söhnen des polnischen Königs Leszko III: Bolko, Leszko und Cieszko. Der Name der Stadt entspringe demzufolge dem polnischen Verb cieszyć się (sich freuen), weil die Brüder sich so über ihr Wiedersehen freuten. Zum Gedenken an diese Legende gibt es in Cieszyn in der ul. Trzech Braci (Drei-Brüder-Str.) einen kleinen Pavillon, der um einen Wunschbrunnen gebaut wurde (Studnia Trzech Braci).
Tatsächlich geht Teschens Geschichte auf das 10. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1290 wurde Teschen zur Hauptstadt des Herzogtums Teschen. Infolge eines Erbvertrages mit dem Haus Habsburg kam Teschen 1526 von den Piasten in Habsburger Hände. Nur noch ein Bergfried (Wieża Piastowska) auf dem Cieszyner Schlosshügel erinnert heute an die Dynastie der Piasten. Direkt neben ebendiesem Bergfried steht die romanische Rotunde des Heiligen Mikołaj (Rotunda Św. Mikołaja) aus dem 11. Jahrhundert, die zu den ältesten Sakralbauten Polens zählt und übrigens auf der Rückseite des aktuellen 20 Złoty-Scheins zu sehen ist.
Protestantismus als Mehrheitsreligion
Die Besonderheit des Teschener Schlesiens ist seine traditionelle Multikulturalität und –religiosität. Seit dem 13. Jahrhundert siedelten sich Deutsche in dem Gebiet an, die lange Zeit das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben dominierten. Außerdem lebten in Teschen Polen, aber auch Juden, Tschechen und Schlonsaken. Nationalbewusstsein begann jedoch erst im 19. Jahrhundert eine Rolle zu spielen. Zuvor war die schlesische Identität vorherrschend. Es entwickelte sich auch ein regionaler Dialekt mit verschiedenen Spracheinflüssen. Entgegen dem Stereotyp, Polen seien für gewöhnlich katholisch und Deutsche evangelisch, zeichnete sich für Teschen eine komplexere konfessionelle Situation ab, die unabhängig von der Herkunft war.
Schlonsaken bzw. Schlesier bekennen sich zur deutschen Kultur, haben Polnisch als Muttersprache und fühlen sich der Region Schlesien (nicht Polen direkt) verbunden.
Nachdem die Reformation im Teschener Schlesien erst einmal Fuß gefasst hatte, avancierte der Protestantismus schnell zur Mehrheitsreligion. Dagegen konnte auch die Gegenreformation nichts ausrichten. Offiziell wurden die Kirchen zwar katholischen Glaubensvertretern übertragen, faktisch blieben die Messen jedoch rar besucht. Die Protestanten pflegten ihren Glauben in sogenannten „Winkelschulen“, geheimen Religionsschulen, oder in Waldgottesdiensten. Den Herrschern blieb nichts anderes übrig, als den Protestanten Religionsfreiheit zu gewähren.
Noch heute ist Cieszyn vorwiegend protestantisch und damit konfessionell gesehen geradezu eine polnische Kuriosität. Hier steht die größte evangelische Kirche Polens. Die Gemeinde umfasst ca. 36 000 Gläubige (Stand: 23.9.2013). Ihr Pastor ist der deutschstämmige Bischof Paweł Anweiler, der uns bei der Studienreise empfing und (auf Deutsch) über Geschichte und Gegenwart der Teschener Protestanten informierte. Er erzählte auch von seiner Begegnung mit Papst Johannes Paul II., als dieser Skoczów (Skotschau) besuchte.
Industrialisierung
Die Industrialisierung hatte im 19. Jahrhundert einen starken Zuwachs der Bevölkerung im Teschener Schlesien zur Folge. Arbeiter wanderten aus Böhmen und Mähren, vor allem aus dem übervölkerten und armen Galizien ein. Wichtigste Wirtschaftszweige waren die Kohleförderung, das Stahl- und Eisenhüttenwesen, das Tuchgewerbe und der Handel. Außerdem wurde Teschen durch den Anschluss an das Eisenbahnnetz aus der Peripherie des Habsburger Reiches herausbefördert. So gesehen verwundert es nicht, dass es eine Direktverbindung von Prag nach Češký Tĕšín gibt.
In der Bevölkerung wurden mehrere Sprachen genutzt. Ab Ausgang des Mittelalters dominierte die polnische Sprache, die deutsche Minderheit stellte jedoch die Führungsschicht dar, weswegen Deutsch lange Amtssprache war. Mit der Arbeiterzuwanderung wurde die soziale Lage schwieriger und es entstanden nationale Bewegungen. Nachdem die verschiedenen Ethnien im Teschener Schlesien zwar nicht miteinander, jedoch friedlich nebeneinander gelebt hatten, trat im 19. Jahrhundert eine deutliche Konkurrenzhaltung zutage.
Die Teilung Teschens und ihre Folgen
Nach dem Ersten Weltkrieg war die Habsburger Monarchie Geschichte, es entstanden neue Nationalstaaten, unter anderem Polen und die Tschechoslowakei. Beide beanspruchten das Teschener Schlesien für sich. Dies kulminierte in dem einwöchigen Polnisch-Tschechoslowakischen Grenzkrieg im Jahr 1919. Die Alliierten beendeten ihn und verwalteten Teschen bis 1920. Dann entschieden sie, Teschen entlang der Olsa zu teilen: Der vorwiegend agrarisch geprägte Teil östlich der Olsa bis zur Bialka fiel Polen zu. Der wirtschaftlich starke westliche Teil Teschens wurde der Tschechoslowakei zugesprochen. Ein Volksentscheid, der aufgrund der relativ großen polnischen Minderheit im nun tschechisch gewordenen Olsagebiet für Polen von Vorteil gewesen wäre, wurde nicht durchgeführt.
Heute sind verschiedene Kulturinstitute sowie die Stadtverwaltungen an einer erneuten Annäherung der Einheimischen über die Grenze hinweg interessiert. Nicht zuletzt die nach wie vor in Tschechien lebende polnische Minderheit stellt dabei ein wichtiges Bindeglied dar. Auch auf europäischer Ebene wird die grenzüberschreitende Kooperation in Form der Euroregio Tesinensis – Euroregion Śląsk Cieszyński – Těšínské Slezsko vorangetrieben.
Tipp: Wer nicht gleich nach Tschechien fahren, aber doch einen Eindruck von Češký Tĕšín erhalten möchte, wirft einfach hier per live stream einen Blick auf den Marktplatz.
Die deutsche Sprachinsel Bielitz-Biala oder “Klein-Wien”
Bielitz-Biala heißt heute Bielsko-Biała, befindet sich in Polen östlich von Cieszyn und hat um die 174 000 Einwohner. Vor dieser Studienreise war mir Bielsko-Biała nicht bekannt, was mich angesichts der Schönheit dieser Stadt überraschte. Es werden zwar mehrere Städte im Teschener Schlesien als “Klein-Wien” bezeichnet (so auch Cieszyn), doch meiner Meinung nach trifft das auf Bielsko-Biała am ehesten zu. Dort fühlt man sich wie zu Habsburger Zeiten. Die Aufschrift “K.K. Privilegirte Kais. Ferd.-Nordbahn” am Bahnhof verstärkte diesen Eindruck ebenso wie die charmante und mitreißende Stadtführung der jüdischen Kunsthistorikerin Prof. Dr. Ewa Chojecka.
Wie Teschen ist auch Bielsko-Biała eine protestantische Stadt. Hier steht die einzige Martin-Luther-Statue in ganz Polen.
Ursprünglich zwei Städte, wurden Bielitz und Biala erst im Jahr 1952 zu einer verbunden. Bielitz war eine Stadt am Rande des Teschener Herzogtums. Erstmals wurde Bielitz 1312 urkundlich erwähnt. Die Stadt Biala wurde 1564 gegründet und gehörte zunächst zu Galizien.
Anfang des 20. Jahrhunderts lebten in Bielitz lediglich 15 Prozent Polen und 15 Prozent Juden. 1938 hatte sich die Situation bereits dahingehend geändert, dass die Zahl der Polen auf 60 Prozent anstieg. Was war geschehen? Polen hatte mit seinen Assimilationsmaßnahmen begonnen: Deutsche Schulen wurden schrittweise in polnische umgewandelt oder geschlossen, deutsche Arbeiter wurden aus Unternehmen entlassen, deutsche Aufschriften waren in der Öffentlichkeit verboten – und vieles weiteres. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die deutsche Bevölkerung, sofern sie nicht bereits geflüchtet war, nach Deutschland vertrieben.
Diese Vertriebenen haben sich in Deutschland 1952 in dem Verein Bielitz-Biala e.V. zusammengeschlossen. “Heimatstuben” gibt es in Lippstadt, Hannover, Braunschweig, Oldenburg und Alzen. Außerdem existiert die Ferialverbindung „Franken“ sowie der Österreichische Heimatbund Beskidenland. Auf seiner Internetseite verweist der Bielitz-Biala e.V. darauf, dass eine verbliebene deutsche Minderheit in Bielsko-Biała die Deutsche Gesellschaftlich-Kulturelle Vereinigung Beskidenland unterhält, deren Mitglieder sich wöchentlich treffen und regelmäßig Sprachunterricht erhalten.
Am Ende des Stadtrundgangs, der auch eine Besichtigung des Bielitzer Schlosses beinhaltete, machten wir im Hotel Prezydent in Habsburger Ambiente einen “k.k.-Kaffeehaus-Stopp”.
Persönliches Fazit
Polen überrascht immer wieder. Trotz des überwiegenden Katholizismus auf nationaler Ebene spielt im Teschener Schlesien der Protestantismus die erste Geige. Die Spuren aus der Habsburger Zeit sind gut sichtbar, besonders in Bielsko-Biała. Wer sich für Geschichte und Multikulturalität interessiert, ist im Teschener Schlesien an der richtigen Adresse.
Für mich persönlich wäre es noch interessant gewesen, mit einheimischen Teschenern zu reden und sie über ihre Grenzwahrnehmung und ihre Kontakte zu den Nachbarn auf der anderen Seite der Olsa zu fragen. Dass die Zusammenarbeit auf institutioneller Ebene wieder in Gang gekommen ist, ist gut und wünschenswert. Doch wünschen sich auch die Bewohner von Cieszyn und Češký Tĕšín wieder zu einer Einheit zusammenzuwachsen? Wird der regionale Dialekt gepflegt? Und wie stark ist der historische Konflikt mit den Tschechen noch in den Köpfen der Otto-Normal-Verbraucher verhaftet?
Im Rahmen der Exkursion haben wir folgende Orte besucht und deren Geschichte von Experten fachkundig und lebhaft vermittelt bekommen: die Grube Michal im tschechischen Ostrava mit dem Architekten Herrn Miloš Matěj, die evangelische Gnadenkirche in Cieszyn mit Bischof Paweł Anweiler, der jüdische Friedhof in Cieszyn mit Herrn Dr. Janusz Spyra, das Museum des Teschener Schlesien mit Frau Irena French sowie das Stadtmuseum in Bielsko-Biała mit der Kunsthistorikerin Frau Prof. Dr. Ewa Chojecka. Vielen Dank dafür!
Einen ausführlichen Exkursionsbericht von allen Teilnehmern finden Sie auf der Internetseite des Deutschen Kulturforums östliches Europa.
Quellen:
Vom Kulturforum zur Verfügung gestellter Reader