“Und wieso gerade Polnisch?”
fragte man mich immer dann, wenn ich von meiner Studienwahl erzählte. Ich habe Übersetzen an der Uni Leipzig studiert, Französisch und eben Polnisch. Erwähnte ich allerdings Französisch, fragte nie jemand nach meinen Gründen.
Polnisch-lernende Sonderlinge
Meine Antwort lautete stets: Land und Leute haben mich überzeugt, und so war es auch. Unausgesprochen blieb, dass es wohl auch das Besondere war, das mich reizte. Während fast jede*r um mich herum Spanisch als zweite Fremdsprache wählte, saß ich mit einer Handvoll weiterer „Sonderlinge“ in den Übersetzungsübungen zu Polnisch und freute mich über die Intensivbetreuung durch die Dozierenden.
Warum aber schien – und scheint – es selbstverständlich zu sein, dass man gern Französisch lernt, oder Italienisch, Spanisch und Englisch, und warum muss man es begründen, wenn die Wahl auf Arabisch, Türkisch, Koreanisch, oder eben Polnisch gefallen ist? Was macht eine Sprache für die Menschen attraktiv?
Polnisch wenig vorteilhaft?
Laut „The Guardian“ (Quelle 1) gibt es bisher nur wenig Forschung in diesem Bereich, aber einige Aussagen können bereits getroffen werden, die auch ein wenig Licht in mein „Polnisch-Rechtfertigungs-Problem“ zu bringen versprechen. So ist eine Sprache umso populärer, je mehr “sozioökonomische Vorteile” sie uns verschafft. Das erklärt unter anderem die Beliebtheit von Englisch als lingua franca der globalen Wirtschaft, aber auch von Chinesisch, das inzwischen an deutschen Schulen gelehrt wird und als Investition in die Zukunft gilt.
Andererseits wird Chinesisch von mitteleuropäischen Ohren kaum als “schöne” Sprache wahrgenommen. Sein tonales System, in dem die Intonation eines Wortes seine Bedeutung verändert, klingt fremd und das Auf und Ab der Sprachmelodie an unerwarteter Stelle mitunter „weinerlich“ für uns (Quelle 2). Chinesisch wird also immer populärer, obwohl es für unsere Ohren unästhetisch klingt.
Englisch weist hingegen noch einen weiteren Vorzug auf: Es wird weltweit zumindest rudimentär gesprochen und verstanden, hat also eine hohe Reichweite (1). Die wichtigsten Brocken sind schnell gelernt und ersparen einem das Erlernen der mitunter komplexen Sprachen etwaiger Urlaubsländer.
Mit beidem – sozioökonomischen Vorteilen und hoher Reichweite – trumpft das Polnische nun nicht gerade auf, womit der Rechtfertigungsdruck bestehen bleibt. Doch schauen wir weiter.
Mag man Polinnen und Polen, mag man Polnisch?
Ein weiterer Grund für das Erlernen einer Sprache ist nämlich die Beliebtheit ihrer Sprachgemeinschaft: Mag man die Menschen, mag man die Sprache. Dieser einfache Zusammenhang erklärt anscheinend die Motivation der vielen Lerner*innen romanischer Sprachen: Französisch, Italienisch und Spanisch werden gelernt, weil die Kultur und das savoir vivre der Mittelmeerländer auf uns Mitteleuropäer*innen einen unwiderstehlichen Reiz ausüben. Dr. Reiterer von der Universität Wien spricht hier vom „Latin Lover-Effekt“ (2), meine frühere Französischlehrerin konstatierte schlicht: „Le français, c´est la plus belle langue du monde“. Und mit Spanisch lässt sich noch dazu der Sprung über den Atlantik ins bunte Lateinamerika wagen, es hat also auch eine hohe Reichweite.
Polnisch bietet zwar keinen Mittelmeer-Flair, es zu studieren hatte für mich aber doch einen ähnlichen Beweggrund. Nach einem Aufenthalt im Land hatten so einige Landsleute mein Herz gewonnen und ich hoffte, indem ich ihre Sprache gründlich lernte, ihre Mentalität und Kultur besser verstehen zu können.
Polnisch melodisch
Aber blicken wir noch einmal hinter die Kulissen der beliebten roman(t)ischen Sprachen, denn an ihnen lässt sich ein weiterer Effekt zeigen: Ihre Fans irren sich nämlich eigentlich, wenn sie ihre Sprachwahl damit begründen, dass Französisch und Spanisch besonders melodisch seien. Sind sie nämlich nicht, im Gegenteil. Mit Ausnahme des Italienischen haben die romanischen Sprachen eine geringe Tonmodulation – sie sind also eher flach im Tonverlauf. Dagegen geht es im Polnischen ziemlich auf und ab, es ist also in Wirklichkeit melodischer als Französisch und co. (2).
Polnisch und Deutsch mal gleichauf
Doch verlaufen die romanischen Sprachen auch eher flach, so werden sie zugleich ganz schön rasant gesprochen. Das liegt an ihrer offenen Silbenstruktur: Konsonant – Vokal – Konsonant – Vokal usw. folgen zumeist regelmäßig aufeinander. Das steigert das Sprechtempo und zugleich die Klangfülle, weil es vor allem Vokale sind, die den Klang tragen. Zurecht werden die romanischen Sprachen also als besonders klangvoll empfunden. Ein zweiter Effekt ist, dass die Worte durch die regelmäßige Struktur als vorhersehbar empfunden werden, was die Erwartung des Hörers befriedigt und die Attraktivität der Sprachen nochmals steigert (2).
Dagegen werden Polnisch, und auch Deutsch, langsamer gesprochen, ausgebremst durch zahlreiche Konsonantenhäufungen (siehe pln. brzmieć = dt. klingen, als passendes Beispiel). Sicher weiß hier jede*r Lerner*in, wovon die Rede ist. Der Mangel an Vokalen reduziert die empfundene Klangfülle und die Erwartbarkeit und somit die Attraktivität der beiden Sprachen: Deutsch und Polnisch schnitten in der zitierten Studie denn auch als die „hässlichsten“ Sprachen ab (2).
Dies war umso erstaunlicher, als die meisten Probanden der Studie slowenische und deutsche Muttersprachler*innen waren: Sie hatten somit die Sprachen ihrer eigenen Familie niedrig bewertet. Jedoch bewerteten sie fremde Sprachen, die sie bereits gelernt hatten oder die den Gelernten ähnelten, als besonders positiv. Sie vergaben also einen Wiedererkennungsbonus an vertraute, aber fremde Sprachen, von dem übrigens besonders Englisch profitierte (2).
Man bevorzugte somit das Exotisch-Fremde, aber möglichst mit Anschlussfähigkeit an bereits Bekanntes. Der Mensch ist also auch bei der Bewertung von Sprachen ein Gewohnheitstier – der deutschen Sprache hat das allerdings nichts genützt, denn sie blieb trotz 100%igem Wiedererkennen von den Probanden ungeliebt. Der Grund hierfür: die deutsche Kultur ist einfach unpopulär (2).
Keine Gründe gegen das Polnischlernen
Meine Frage, warum nun eine Sprache populär ist und eine andere nicht, lässt sich somit nur mit Verweis auf eine bunte Mischung aus ein paar phonetischen Merkmalen, aber noch mehr Emotionen und Stereotypen und damit nur ansatzweise beantworten. Der Mensch ist eben ein irrationales Wesen, aber genau das ist es wohl, was seine vielfältigen Sprachen in ihrer ganzen Fülle überhaupt erst entstehen ließ.
PS: Wer noch mehr Details erfahren möchte, dem seien meine Quellen empfohlen:
Quelle (1): „What makes a language attractive – its sound, national identity or familiarity?“, The Guardian https://www.theguardian.com/education/2014/jul/17/what-makes-a-language-attractive
Open license terms von The Guardian: http://syndication.theguardian.com/open-licence-terms/
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Quelle (2): Vita V. Kogan / Susanne M. Reiterer: „Eros, Beauty, and Phon-Aesthetic Judgements of Language Sound. We Like It Flat and Fast, but Not Melodious. Comparing Phonetic and Acoustic Features of 16 European Languages“, Frontiers in Human Neuroscience https://doi.org/10.3389/fnhum.2021.578594
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