In meinem Arbeitszimmer läuft meistens nebenbei der Fernseher. Vor allem jetzt, während der Baltikum-Reise unserer Außenministerin. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Die vorausgesetzte Multitasking-Fähigkeit ist bei mir gerade noch vorhanden.
Was kriege ich also aus dem Augenwinkel mit?
Riga, Tallinn, Vilnius
Ganz gleich welche Hauptstadt der Region Annalena Baerbock derzeit ansteuert. Sie sieht sich stets mit bestimmten Fragen konfrontiert. Allen voran mit der Frage nach Deutschlands Zuverlässigkeit. Dabei ging es noch vor kurzem um etwas ganz anderes.
Deutschlands Führung
Nach dem Brexit wurden in Europa Stimmen laut, Deutschland möge nun die Federführung in der Union übernehmen. Das passte damals wahrlich nicht allen. Polens Außenminister Zbigniew {sbignew} Rau bemängelte noch Mitte des vergangenen Jahres, dass auch die USA Deutschland nunmehr mit Europa gleichsetzen würden.
Diese Haltung scheint aktuell überholt.
Ist das in Deutschland angekommen? Eine Kenntnisnahme scheint in den Worten von Frau Baerbock nachzuhallen, wenn sie in Vilnius betont, dass Deutschland die stärkste Kraft in der Europäischen Union sei.
Aber was genau heißt es? Geht aus der besonderen Stärke auch eine besondere Verantwortung hervor?
Das scheint man im Baltikum und auch anderswo just so zu sehen. Das wird unter anderem in teils dramatischen Appellen im Europaparlament mehr als deutlich.
Ist das vielleicht eine Erklärung für die unbequemen und sich wiederholenden Fragen (nicht nur) seitens der Balten? Ist man etwa in Europa mittlerweile über Deutschlands mangelnde Führung enttäuscht? Bekommt man gar Angst, dass die Bundesrepublik als Verbündeter wackelt?
Das Schicksal ruft an. Wer hebt ab?
Ende 2011 sagte der damalige polnische Außenminister Radosław {radosuaw} Sikorski, er fürchte weniger Deutschlands Macht als deutsche Untätigkeit. Diese geschichtsträchtigen Worte fielen zwar im Zusammenhang mit der europäischen Banken- und Schuldenkrise. Aber sie können auch auf die gegenwärtige Situation angewendet werden.
Bundeskanzler Scholz verpasse eine historische Chance, hört man bisweilen auch hierzulande.
Aber ist uns allen das eigentlich bewusst? Und wie gehen wir damit um? Soll Deutschland die Führung in Europa übernehmen?
Ich erwarte kein lautes und gremiales „ja!“ als Antwort. Aber doch zumindest eine offene, ehrliche Diskussion.
Wenn das Schicksal an die Tür klopft, sollte man ihm begegnen. Sich wegducken ist keine echte Option.
Der Trick mit den Waffen
Doch genau das scheint Bundeskanzler Scholz gerade zu bewerkstelligen. Mit einem simplen und doch recht effektvollen Waffentrick, auch als „Ringtausch“ bekannt, versucht er alle Fliegen, die zurzeit um ihn herumschwirren, zu erledigen. Die Pazifisten, die Putinversteher, die NATO-Verbündeten und die Ukrainer, die in Person des Botschafter Melnyks Scholz zusehends auf die Pelle rücken, sollen damit befriedet werden.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin froh, dass nun endlich Bewegung in die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine kommt. Auch wenn Deutschland dabei den größten Profit einstreicht, ist der Ukraine trotzdem damit geholfen. Slowenien gewinnt ebenfalls – im Grunde eine klassische Win-win-Situation. Aber weiß Gott keine, die den Erwartungen des Auslands und Deutschlands Ansprüchen gerecht werden würde.
Oder etwa doch?
Fazit
Während also Kanzler Scholz versucht sein politisches Image zu retten, muss Annalena Baerbock, trotz ihrer eigenen Überzeugungen, die Stellung halten und für das bisherige Vorgehen der Bundesrepublik gerade stehen. Sie ist ja auch die Außenministerin Deutschlands und nicht die ihrer Partei. Unsere wandelnde Visitenkarte sozusagen. Sie macht es bis dato nicht schlecht. Und tut mir fast immer sehr Leid. Aber was heißt das schon in Zeiten eines brutalen, völkerrechtswidrigen Krieges, der vor unserer Haustür tobt.