Das Jahr 2018 ist ein besonderes in der polnischen Geschichte. Vor genau 100 Jahren erlangte Polen nach 123 Jahren Teilung endlich seine Unabhängigkeit.
Ich wollte nicht etwas zur „klassischen“ Geschichte Polens schreiben, da vieles ausgiebig bereits gesagt wurde. Daher dachte ich, es wäre mal interessant zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit, 10 wichtige Persönlichkeiten aus der über tausendjährigen Geschichte Polens vorzustellen.
Mikołaj Kopernik (1473 – 1543)
Hinter dem Namen Mikołaj Kopernik (dt. Nikolaus Kopernikus) steht ein berühmter Mathematiker, Arzt und Domherr. Doch für das, für was er sowohl in Polen als auch Deutschland am meisten verehrt und geachtet wird, ist die Astronomie. Mit seinem im Jahr 1530 erschienenen Buch „De revolutionibus orbium coelestium“ (Über die Kreisbewegungen der Weltkörper) vom heliozentrischen Weltbild, löste er zu Lebzeiten ein gewaltiges Erdbeben aus. Seine Entdeckungen waren so revolutionär und gefährlich, dass er zunächst nur wenige Anhänger (u.a. Johannes Keppler und Galileo Galilei) fand und die katholische Kirche sein Buch erst 1835 freigab.
Seine bahnbrechenden Ideen führten leider auch dazu, dass er zum Zankapfel zwischen Polen und Deutschen wurde. Beide Nationen beanspruchen Kopernikus als „einen von ihnen“. Meiner Meinung nach ist es sinnlos, über seine „Nationalität“ zu streiten, da er in einer Zeit lebte, als es nunmal keine klassischen Länder im heutigen Sinne gab. Tatsache ist, dass seine Vorfahren sowohl deutsche als auch polnische Wurzeln hatten. Seine Werke schrieb er auf Deutsch und Latein, lebte in Toruń, welches der polnischen Krone unterstellt war. Somit kann man ruhigen Gewissens sagen, dass er von beidem etwas hat, sodass beide Länder auf „ihren“ Kopernikus stolz sein dürfen.
Tadeusz Kościuszko (1746 – 1817)
Tadeusz Kościuszko ist untrennbar mit dem letzten Aufbäumen der Adelsrepublik Polen gegen die zweite (1793) und dritte (1795) Teilung verbunden.
Kościuszko schlug von Anfang an eine militärische Laufbahn ein und studierte in Warschau und Paris. Sein Weg führte allerdings zunächst in die USA, wo er am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg in den Reihen der Unionsarmee teilnahm und sich dort großes Ansehen erarbeitete. Er kehrte 1784 nach Polen zurück und wurde zur treibenden Kraft im bevorstehenden Polnisch-Russischen Krieg von 1792 sowie im Aufstand von 1794, der ihm zu Ehren als „Kościuszko-Aufstand“ bezeichnet wird. An der Spitze des polnischen Heeres, welches allein auf sich gestellt sich einer drückenden Übermacht stellen musste, konnte auch Kościuszko nicht verhindern, dass Polen für die nächsten 123 Jahre von der Landkarte verschwand.
Neben seinen militärischen Taten, war Kościuszko ein Mensch der Aufklärung. Er trat ein für die Abschaffung der Sklaverei und sprach sich für ein tolerantes Miteinander der Völker und Religionen aus. Daher wird er zu Recht nicht nur in Polen, sondern auch in den USA als Nationalheld verehrt.
Was für die Deutschen Goethe mit seinem Werk „Faust“ ist, ist Mickiewicz mit seinem Werk „Pan Tadeusz“ für die Polen. Beide sind die Dichterfürsten ihrer jeweiligen Länder, beide haben sich 1829 in Weimar getroffen und ihre jeweiligen Hauptwerke sind in Versform geschrieben. Allerdings unterscheidet sich die Thematik der beiden Dichter. Mickiewicz‘ Werke sind stark von den Konsequenzen der drei polnischen Teilungen geprägt. Seine Werke haben einen starken patriotischen Hauch und äußern den Wunsch nach Wiedererlangung eines unabhängigen polnischen Staates. So reiht sich auch „Pan Tadeusz“ in die Thematik ein. Es behandelt um den Streit zweier verfeindeter polnischer Adelsgeschlechter sowie die Liebe des jungen Tadeusz (Protagonist) zu zwei Frauen. Doch vornehmlich geht es um den bevorstehenden und letztendlich erfolglosen Novemberaufstand von 1830 gegen das russische Zarenreich.
Neben seiner literarischen Tätigkeit engagierte er sich auch politisch und wissenschaftlich für eine Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit. So lehrte er ab 1840 am Collège de France Slawistik und organisierte Kampfverbände (Polnische Legionen), die sich am Aufstand gegen die Besatzungsmächte Österreich und Russland beteiligen sollten.
Mikołaj Rej dürfte wohl der unbekannteste aus dieser Auflistung sein.
In Polen allerdings gilt er als ein bedeutender Schriftsteller der Renaissance und als „Vater der Polnischen Literatur“. Er selbst stammte aus sehr einfachen Verhältnissen. Zur damaligen Zeit war Latein die wichtigste Sprache und jeder, der etwas von sich hielt, sprach Latein. Polnisch war indes den einfachen Leuten vorbehalten. Rej brachte sich das Lesen größtenteils selbst bei, doch mit der lateinischen Schriftsprache wollte es nicht klappen. So machte er aus der Not eine Tugend und verfasste seine Werke auf Polnisch. Seine Werke hatten maßgeblichen Einfluss darauf, dass sich die polnische Literatursprache ab dem 16. Jahrhundert entwickelte und zunehmend das Lateinische – auch am Königshof – verdrängte. Sein berühmtes Zitat kennt jeder Pole:
„A niechaj narodowie wżdy postronni znają, iż Polacy nie gęsi, iż swój język mają.” Die Völker außerhalb aber sollen wissen, dass die Polen keine Gänsesprache, sondern ihre eigene Sprache haben.
Irena Sendlerowa (1910 – 2008)
Frau Sendlerowa verbrachte fast ihr gesamtes Leben in Warschau trägt unter anderem den Titel „Gerechte unter den Völkern“.
Bereits in ihrer Jugend engagierte sie sich für Kranke und sozial Benachteiligte. Sie nahm zwar vor dem Krieg ein Jura-Studium auf, doch wechselte bald auf die humanistische Fakultät. Als es an der Warschauer Universität kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu antisemitistischen Auswüchsen kam, setzte sich Frau Sendlerowa demonstrativ für ihre jüdischen Kommilitonen ein.
Während der Besetzung Warschaus arbeitete sie im Sozialamt und half durch Fälschen von Dokumenten 2.500 jüdische Kinder aus dem Warschauer Ghetto zu schmuggeln. Ab 1942 arbeitete sie zusammen mit der Untergrundorganisation „Żegota“ zusammen. Hinter diesem Namen verbirgt sich der Rat für die Unterstützung der Juden (poln. Rada Pomocy Żydom). Diese Untergrundorganisation im deutsch besetzten Polen wirkte zwischen 1942 und 1945 und wurde von der polnischen Exilregierung aus London unterstützt. Dadurch konnten tausende von Juden gerettet werden. Frau Sendlerowa selbst überlebte die Besatzungszeit nur mit viel Glück. Für ihre Verdienste erhielt sie als eine von 6.863 Polen insgesamt die Auszeichnung „Gerechte unter den Völkern“. Es folgten außerdem noch weitere Auszeichnungen in Polen für ihr Leben, welches sie stets Kranken und Bedürftigen widmete.
Henryk Sienkiewicz (1846 – 1916)
Mit Henryk Sienkiewicz hat Polen einen weiteren berühmten Schriftsteller und zugleich einen von bisher 26 polnischen Nobelpreisträgern.
Er wuchs in einem Umfeld voller Patriotismus und dem Willen, die polnische Kultur und Sprache am Leben zu erhalten, auf. Sein Vater war aktiver Teilnehmer des Januaraufstands von 1863.
Er studierte zwar in Warschau Literatur und Geschichte, doch wie so viele polnische Persönlichkeiten der damaligen Zeit verbrachte Sienkiewicz viele Jahre seines Lebens im Ausland.
Dennoch setzte er sich für die „polnische Sache“, die Wiederauferstehung des polnischen Staates ein. Als Schriftsteller verfasste er zahlreiche Werke, in denen der jahrhundertlange Kampf des polnischen Königreiches gegen fremde Mächte thematisiert wird.
- Ogniem i mieczem – Mit Feuer und Schwert – handelt von einem Kosakenaufstand in der Ukraine
- Potop – Sintflut – handelt vom Polnisch-Schwedischen Krieg 1655 – 1660
- Krzyżacy – Die Kreuzritter – behandelt die Schlacht bei Tannenberg 1410
Dafür wird er bis heute in Polen geschätzt. Doch das Werk, mit welchem er letztendlich weltbekannt wurde, ist „Quo Vadis” über Christenverfolgung im Römischen Reich. Den Nobelpreis 1905 für Literatur erhielt er „auf Grund seiner großartigen Verdienste als epischer Schriftsteller“.
Maria Skłodowska (1867 – 1934)
Außerhalb Polens werden vermutlich nur wenige mit diesem Namen etwas anfangen können. Wenn man allerdings Marie Curie erwähnt, so glaubt man nicht, dass das ein und dieselbe Person ist. Doch wie kam es dazu?
Maria erblickte im von Russland besetzten Warschau 1867 das Licht der Welt. In ihren jungen Jahren entdeckte sie ihr Interesse u.a. an Physik. Polnische Sprache und Kultur konnte sie nur heimlich lernen. Auch ihr Interesse an Physik konnte sie nur zunächst „nebenbei“ erforschen. Die vorangetriebene Russifizierung sowie das Verbot für Frauen zu studieren machten es nicht einfacher. Doch das dürfte für ihren weiteren Werdegang eine glückliche Fügung gewesen sein, da sie in Warschau zur damaligen Zeit sicherlich nicht diese Entdeckungen hätte machen können, wie ab 1891 in Paris.
Trotz sprachlicher Defizite gehörte sie an der Sorbonne-Universität von Anfang an zu den Besten. Sie nahm bereits kurz darauf ihre Forschungen mit ihrem späteren Mann Pierre Currie auf. 1895 entdeckte sie die Röntgenstrahlung. Drei Jahre später entdeckte sie eine neue radioaktive Substanz. Zu Ehren ihrer polnischen Heimat gab sie ihr den Namen Polonium. Bereits fünf Monate später entdeckte sie zusammen mit ihrem Mann Pierre Curie das radioaktive Element Radium. 1903 wurde ihr der Nobelpreis für Physik sowie 1911 für Chemie verliehen.
Neben diesen Erfolgen engagierte sie sich im Völkerbund und interessierte sich für die medizinische Nutzung ihrer Entdeckungen. So setzte sie im Ersten Weltkrieg Röntgenwagen ein, um verwundete Soldaten zu untersuchen.
Auch mit diesem Namen dürften wohl nur eingefleischte Polenkenner etwas verbinden. Wenn man allerdings diesen Namen ins Französische überträgt, so wird aus Fryderyk Szopen – Frédéric Chopin. Der Aha-Effekt ist da und manch einer staunt, dass dieses musikalische Genie des 19. Jahrhunderts aus Polen stammt.
Bereits mit vier Jahren erlernte er das Klavierspielen. Mit gerade mal acht Jahren gab sein erstes Konzert. Das Klavier sollte „sein“ Instrument werden, mit welchem er große Erfolge sogar in Wien oder Paris feierte. Seine Musik trug viele volkstümliche Elemente seines Heimatlandes, die einerseits zum Aushängeschild Polens im Ausland und zur Identifikation der Polen wurde, die zur damaligen Zeit kein eigenes Land hatten.
Über die Wirkung seiner Musik schrieb Robert Schumann:
Falls ein mächtiger Monarch aus dem Norden wüsste, welch gefährlicher Feind ihm in den Werken Chopins, in den einfachen Melodien der Mazurkas gegenübersteht, so würde er diese Musik verbieten. Die Werke Chopins sind Kanonen, versteckt in Blumen.
Diese Meinung scheint nicht von ungefähr, denn so wurde die Musik von den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg verboten – das Spielen der berühmten Revolutionsetüde konnte sogar mit dem Tod bestraft werden.
Heutzutage ist das Hören seiner Musik wesentlich leichter. So kann man sich nach Warschau aufmachen und dort eine der 15 Chopin-Sitzbänke aufsuchen und der Musik lauschen sowie Interessantes zum Komponisten erfahren.
Anna Walentynowicz (1929 – 2010)
Jeder kennt Lech Wałęsa, doch wer kennt Anna Walentynowicz?
Anna Walentynowicz kam kurz nach dem Krieg nach Gdańsk und machte eine Ausbildung zur Schweißerin. Diese Ausbildung ermöglichte ihr eine Anstellung an der Danziger Werft 1950, wo sie schnell zur Vorzeigearbeiterin avancierte. Doch bereits in den 60er Jahren trat sie für Arbeiterrechte und freie Gewerkschaften ein und galt dem kommunistischen Regime als zu „aufmüpfig“. Das bekam sie von der Staatsicherheit auch zu spüren. Bereits in den 60er und 70er Jahren sollte sie entlassen werden. Dennoch trat sie weiterhin unerschrocken dem Regime gegenüber und war eine der Mitbegründerinnen der „Freien Gewerkschaften“ Wolne Związki Zawodowe 1978.
Ihre Entlassung aus disziplinären Gründen am 08.08.1980 war der Stein des Anstoßes für die nun beginnenden Streiks, aus denen dann kurze Zeit später die Bewegung „Solidarność” entstehen sollte. Sie gehörte zu den Mitbegründern der Solidarność, doch verzichtete auf den Vorsitz freiwillig, mit den Worten: „Wenn dieser Streik von einer Frau geleitet wird, dann wird die Bedeutung der Sache niedriger sein und es wird nicht leicht sein, wenn nötig, einen zweiten Streik zu führen.“ Der Streikführer wurde ein anderer – Lech Wałęsa. Als am 16.08.1980 die Führung der Danziger Werft auf die Forderungen (u.a. Wiedereinstellung) einging, wollte Wałęsa tatsächlich den Streik abbrechen. Nur Walentynowicz und anderen Mitgliedern ist es zu verdanken, dass die Streiks weitergeführt wurden und das kommunistische Regime somit weiter unter Druck gesetzt werden konnte.
Sie und Wałęsa wurden nie Freunde. Sie kritisierte ihn zeitlebens für seine recht nachgiebige Politik gegenüber den Kommunisten. Doch es half nichts – während er sogar den Friedensnobelpreis einheimste, geriet sie fast vollständig in Vergessenheit. Zu ihrer Tragik gehörte auch, dass sie 2010 an Bord der Maschine war, die Richtung Smoleńsk flog.
Wer hinter diesem Namen steckt, dürfte wohl jedem bekannt sein. Er ist der mit Abstand bekannteste und berühmteste Pole sowohl im In- als auch im Ausland. Karol Wojtyła – der Mann der nach über 500 Jahren als erster Nicht-Italiener und erster Pole überhaupt Papst wurde.
Karol Wojtyła wuchs im beschaulichen Wadowice in der Nähe von Krakau auf. Seine jungen Jahre deuteten zunächst nicht darauf hin, dass irgendwann aus dem jungen Karol Papst Johannes Paul II. werden sollte. Er spielte gern und oft Fußball, nahm an Theateraufführungen teil und studierte Philosophie und Literatur. Doch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stellte für ihn wie für viele andere eine tiefe Zäsur dar. Sein Studium konnte er nur noch im Untergrund fortsetzen. Zur Überraschung seiner Gefährten entschied er sich 1942, ein Theologiestudium im Untergrund aufzunehmen.
Bereits kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs begann er sein Wirken als Priester. Wenn man bedenkt, dass Polen ein sehr religiöses Land ist und die neuen kommunistischen Machthaber mit Religion nur wenig anzufangen wussten, war Streit vorprogrammiert. Wojtyła eckte wie andere Geistliche schnell an. Seine Nähe zur jüdischen Kultur, seine aktive Teilnahme am Aufruf zur Versöhnung zwischen Deutschland und Polen 1965, welches in der Botschaft der polnischen Geistlichen an die deutschen Amtsbrüder in den Worten „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ gipfelte, mussten scharfe Attacken nach sich ziehen. Seine Forderung nach freier Religionsausübung und die Forderung nach einem Bau einer Kirche ausgerechnet in der sozialistischen Musterstadt Nowa Huta waren den Kommunisten ein Dorn im Auge. Als er 1978 zum Papst gewählt wurde, wurde er einerseits zur großen Hoffnung für seine Landsleute. Andererseits wussten nun auch die kommunistischen Machthaber, dass dieser „Rebell“ nun eine noch gefährlichere Position eingenommen hat.
Zum Schluss
Dies war eine kleine Übersicht von „nur“ 10 wichtigen Personen polnischen Geschichte. Manche von ihnen sind bis heute in aller Munde, manche gerieten selbst in Polen in Vergessenheit. Einige blieben ihr ganzes Leben in Polen, andere mussten teilweise aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen. Doch alle haben sich, ob in politischer, kultureller und wissenschaftlicher Weise, um Polen verdient gemacht.
Wie gesagt sind es nur 10 Personen – der offizielle Unabhängigkeitstag wird in Polen am 11. November begangen. Es lassen sich noch weitere Persönlichkeiten, die sich speziell um die Unabhängigkeit verdient gemacht haben (beispielsweise Ignacy Paderewski), erwähnen.
Doch dazu mehr in einem weiteren Beitrag.