Im Sommer 2013 beschäftigten wir uns erstmals in einem Beitrag mit der Einführung des „Radiosystems der Zukunft“ DAB+ in Polen. Was seinerzeit mit einem digitalen Intermezzo von zwei Testinseln in Kielce und Stettin (Szczecin) begann hat sich binnen gut 2 Jahren zu einer Art staatlich verordneter Digitalisierungswelle entwickelt. Poznań, Warszawa, Łódź, Opole oder Gdańsk sind nur einige Metropolen die mittlerweile mit terrestrischen Rundfunksignalen in CD-Qualität versorgt werden.
Noch im 2. Quartal dieses Jahres folgen Aufschaltungen selbst in „abgelegeneren Regionen“ wie Białystok, Lublin oder auch hoch im Norden in Kolberg (Kołobrzeg). Doch wer sich einen DAB+ fähigen Empfänger zulegt, wird schnell merken: beliebte Stationen wie RMF FM, Radio PLUS oder ESKA – diese empfängt man nicht. Dawid Piekarz, Vizepräsident der Rundfunkommision (UKE) erklärt es gegenüber Polen.pl so: “Leider sind die Privatsender nicht am digitalen Radio interessiert”. In Fachkreisen munkelt man: genannte Senderketten haben ein recht flächendeckendes analoges UKW Netz. Mit dem digitalen Aufschwung in bisherigen „Monopolregionen” könnten dann plötzlich bis zu 30 Spartensender on air gehen. Soetwas geht natürlich auf Kosten der Werbeeinnahmen und Hörerzahlen, also von dem was die Privaten zum Leben brauchen. Und so mauert man und lässt den Staatsrundfunk Polskie Radio mal “sein Süppchen” kochen. Interviewanfragen von Polen.pl bei RMF und ESKA wurden unterdessen schlichtweg abgewimmelt.
Tatsächlich lässt Polskie Radio die Muskeln spielen; mit Exklusivprogrammen wie Radio RYTM (ein werbefreies non-stop Musikprogramm), Radio 94i4 (ein Jugendformat) oder Polskie Radio 24 (Nachrichten an 24 Stunden am Tag) installiert man wichtige Zugpferde. In diesem Jahr folgen auch noch ein Kinderkanal und ein Sender, der sich an die Zielgruppe der Gereration 50+ wendet.
Spätestens bis 2025 wird sich zeigen wer das Rennen um die Hörer macht, denn bis dahin soll nach dem Willen der Europäischen Union (EU) die analoge Ultrakurzwelle (UKW) weitestgehend ausgedient haben. Vorausgesetzt natürlich, alle ziehen an einem Strang, was selbst in der Bundesrepublik Deutschland nicht gut klappt. Zwar machen die meisten Privaten mittlerweile mit, doch ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk – anders als in Polen nämlich – Ländersache und während in Bayern oder Baden-Württenberg flächendeckend teilweise bis zu 40 Sender funken, machen NDR und RBB eine Blockadepolitik vom feinsten und treten auf die Digitalisierungsbremse, was teltarif.de-Magazin Redakteur Michael Fuhr immer wieder in seinen Beiträgen kritisiert.
Aber zurück nach Polen: Die aus dem Eifelstädtchen Daun stammende Elektronikfirma TechniSat ist in Warschau mit ihrer Polenrepräsentanz vertreten und alle wichtigen Handelsketten wie Media Markt, Saturn oder Media Expert führen derer Produkte. Man zeigt sich optimistisch:
“Wir gehen davon aus, dass der DAB+ Markt in Polen kontinuierlich wachsen wird. Bis zum Ende des Jahres werden 49,4% der Bevölkerung mit DAB+ versorgt werden. Weitere Prognosen für die nächsten Jahre: 2016 – ca. 54,9%, 2017 – 70,5%, 2018 – 84,4%, 2019 – 95,2%. Der Startschuss für das Digitalradio in Polen ist erst im Oktober 2013 gefallen, sodass wir hier ein riesiges Potenzial für die nächsten Wochen, Monate und Jahre sehen. Schließlich verfügt Polen über 38,5 Millionen Einwohner. Von unserem Unternehmenshauptsitz in Deutschland wissen wir, dass das Digitalradio eine gute Marktdurchdringung erreicht, wenn Gerätehersteller, Händler, DAB+ Sender und die Politik, an einem Strang ziehen.”
So resümiert unser Interviewpartner Grzegorz Łuczak, Verkaufsleiter bei TechniSat Polen. Auch die mittlerweile flächendeckende Einführung des Digitalfernsehen DVB-T sieht man als durchaus gelungen an:
Polen ist ein wichtiger Markt in Europa für uns und unsere Vermarktung von DVB-T Receivern durchaus erfolgreich. Wir bieten eine breite Produktpalette an DVB-T Receivern auf dem polnischen Markt an.
Westpolen als Flaggschiff der Digitalisierung
Fast alle Ballungsgebiete der Republik Polen sind mittlerweile mit DAB+ versorgt (Stand: 1. Quartal 2015). Flächendeckung bis 2020 angestrebt. (Grafik: Polskie Radio S.A.)
In der Wojewodschaft Zachodniopomorskie (Westpommern) verantwortet der technische Direktor von Polskie Radio Szczecin, Krzysztof Skonieczny, den Auf- und Ausbau von DAB+. Mit einer eigens eingerichteten Internetseite und viel Öffentlichkeitsarbeit hat er sich in Polen mittlerweile einen guten Ruf als “Digitalradiopionier” gemacht. So berichtet er uns stolz im Gespräch: “Am Standort Szczecin-Kolowo hat unser Dienstleister EMITEL kürzlich die Antennenanlage komplett umgebaut. Aus 240 Metern Höhe und mit derzeit 10kW versorgen wir ein Gebiet zwischen Schwedt auf deutscher Seite bis über Stargard Szczecinski, ja sogar bis knapp vor Wolin.” Die Hörerschaft wird mittels Lauftext (DLS), welcher auf den Empfängern dargestellt wird, gebeten, Empfangsberichte über Soziale Medien und eine eigens eingerichtete E-Mail-Adresse mitzuteilen. Ursprünglich hatte man bei der Rundfunkkommision (UKE) eine Sendeleistung von 20kW beantragt, doch mit der Begründung von vermeindlichen Emmisionsüberschneidungen mit der Nahe gelegenen BRD lehnte man dies zunächst ab. Das unter der Regie von Radio Szczecin geführte Programm 94i4fm sendete bis Ende 2014 auch über UKW, nun nur noch über DAB+. 94,4MhZ ist eine Zusatzfrequenz für Radio Szczecin geworden. Die Abschaltung rief heftige Proteste hervor, doch begründet Skonieczny es so:
Radio Szczecin auf 92,0MhZ ist unser Flaggschiff und es kam im Umland von Szczecin seit Jahren zu Empfangsbeeinträchtigungen, da wir die Sendeleistung nach einer Beschwerde der Medienanstalt in Mecklenburg-Vorpommern von 100 kW auf 60 kW reduzieren mussten. Es kam zu Überschneidungsstörungen mit dem NDR.
Vorwürfen, es würde einfach zu Gunsten einer Abatzsteigerung von DAB+ Empfängern bei der jungen Zielgruppe des Jugendsenders abgeschaltet, entgegnet er so: “Ich kann diese Logik nicht nachvollziehen.” Auf der Facebook-Seite des Senders sehen dies die „ehemaligen” Hörer naturgemäß ganz anders und debattieren, ob sie denn mindestens 150 Złoty (rund 40 Euro) für einen Digitalempfänger investieren sollten.
Werbemaßnahmen für Digitalradio noch Mangelware
Bis auf wenige TV-Spots und lokale Initiativen in Stettin ist vielen Polen die Technik leider weitestgehend unbekannt. Im Privatradio, wie eingangs erwähnt, schweigt man das Thema aus. Der Fachhandel hält sich dezent zurück.
Möglichkeiten, auf DAB+ über Werbeschilder an Überlandstraßen oder Autobahnen hinzuweisen, nutzt man vermutlich aus Kostengründen bislang nicht. Krzysztof Skonieczny bedauert dies: “Unter gegenwärtigen Vorraussetzungen stehen die Zeichen der Zeit noch nicht für solche Maßnahmen.”
Fazit der gegenwärtigen Situation beim Digitalradio
Digitalradio bringt klare Vorteile vor allem für die Hörerschaft; Statt Rauschen und Knacksen und einem geringen Programmangebot mangels Kapazitäten im in die Jahre gekommenen UKW-System könnten künftig auch bislang unterversorgte Gebiete von mehr Vielfalt profitieren. In der Flächenausbreitung haben die für die Übertragung genutzten VHF-Frequenzen eine deutlich begünstigte Ausbreitung und Reichweite. Auf einer DAB+ Frequenz können übrigens gleichzeitig bis zu zehn Sender fast in CD-Qualität ausgestrahlt werden. Auf UKW lediglich eines. Auch können visuelle Informationen programmbegleitend gesendet werden: Texte, Bilder, ja sogar Videos. Bei UKW beschränkt sich diese Möglichkeit auf kurze Lauftexte (RDS). Da die DAB+ Sendernetze quasi völlig synchron laufen, entfällt künftig beispielsweise bei einer Autofahrt von Stettin nach Warschau das umständliche Suchen der geeigneten Frequenz. Auch nationale Unwetter- oder Katastrophenwarnungen sind somit für die Behörden in Zukunft einfacher. Entsprechende Szenarien werden gegenwärtig getestet. Wenn sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten auf verbindliche Leitlinien beim Ausbau einigen, den Privatanbietern die befristeten UKW Freuquenzen nur noch mit der Auflassung übergeben werden, gleichzeitig bei DAB+ mitzumachen, und ein verbindlicher Abschaltungstermin für Analogradio genannt wird – erst dann kann dem System zum finalen Durchbruch verholfen werden. Viele Wege führen zum Erfolg. Bei der Umstellung von der Lang- auf die Kurzwelle und zur Ultrakurzwelle hat dies funktioniert! Warum also nicht auch bei DAB+?
Weiterführende Informationsmögilchkeiten (verlinkt mit den Unterseiten):
www.dabplus.pl (offizielle Infoseite von Rolskie Radio)
www.emitel.pl (technischer Dienstleister)
www.ukwtv.de (ehrenamtlicher Arbeitskreis Rundfunk)
www.digitalradio.de (Sendernetzbetreiber BRD)
www.worlddab.org (World DAB Initiative)
Führende Hersteller von DAB+ Empfängern (kleine Auswahl):
www.technisat.de (TechniSat)
www.dual.de (DUAL)
www.sangean.eu (SANGEAN)
www.pure.com (PURE)