Am 5. Dezember 2014 wurde auf dem Militärfriedhof Powązki der Schauspieler Stanisław Mikulski mit militärischen Ehren beerdigt; das polnische Parlament, der Sejm, gedachte ihm in einer Gedenkminute. Mikulski war Ende November im Alter von 85 Jahren verstorben. Mit der großen Anteilnahme, die sein Tod in Polen auslöste wird auch die Bedeutung seiner Rolle in der Fernsehserie „Sekunden entscheiden“ für die polnische Gesellschaft deutlich.
Mikulski als Agent J-23
Stanisław Mikulski war Hauptdarsteller der polnischen Sechziger-Jahre-Kultserie „Stawka większa niż życie”, die auch mehrmals im DDR-Fernsehen unter dem Titel „Sekunden entscheiden“ wiederholt wurde. Seine sehr große Popularität in Polen und Russland war trotz zahlreichen Theaterengagements vor allem einer Fernsehrolle geschuldet, in der er den Geheimdienstagenten J-23 spielte. In 18 Folgen schlüpfte dieser in die Rolle des deutschen Abwehroffiziers Hans Kloss und agierte zusammen mit dem kommunistischen Widerstand erfolgreich gegen die deutschen Besatzer Polens.
Während der Begräbnisfeierlichkeiten stellte die polnische Kulturministerin Małgorzata Omilanowska fest, dass Stanisław Mikulski mit der in der Serie „Sekunden entscheiden“ verkörperten Rolle des Hans Kloss die „Rolle seines Lebens“ spielte, die für ihn Segen und Fluch war – sie verhalf ihm zu solcher Popularität, die wahrscheinlich kein anderer polnischer Schauspieler jemals genoss, aber sie bestimmte auch seine berufliche Karriere.“
Kompensation und Trost durch Filme
Die achtzehnteilige Fernsehserie des Polnischen Fernsehens „Stawka większa niż życie“, die in den Jahren 1967 und 1968 produziert wurde, war inspiriert vom ersten James Bond-Film „Doctor No“, der bereits 1962 gezeigt worden war. Sie hatte aber mehr als nur einen unterhaltenden Charakter. Wie der Zeithistoriker Eugeniusz Cezary Król in einem Beitrag zum Buch „Deutschland und Polen – Filmische Grenzen und Nachbarschaften“ ausführt, handelten ein Viertel aller zwischen 1946 und 1995 in den Studios von Warschau und Lodz entstandenen filmischen Werke direkt oder indirekt vom Zweiten Weltkrieg. Sie hatten das Ziel, “vielen Polen, die Opfer der Naziherrschaft waren, psychologische Kompensation und Trost” zu verschaffen.
Negative Stereotype von Deutschen
Die negativen Stereotype von Deutschen, die damals im polnischen Filmschaffen entstanden, waren Ergebnis der schrecklichen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg sowie auch ein Teil der gegen Westdeutschland gerichteten staatlichen Propaganda der Volksrepublik. Da der Zweite Weltkrieg ein zentrales Thema der polnischen Nachkriegszeit war und das Feindbild des Russen bis 1989 nicht erlaubt war, tauchte das negative Deutschenbild sehr häufig auf. Gerade die Serie „Sekunden entscheiden“, zusammen mit der ebenfalls sehr populären Fernsehserie „Vier Panzersoldaten und ein Hund“ (Czterej pancerni i pies), die von heroischen polnischen Widerstandskämpfern bzw. Soldaten erzählen, produzierten bis heute nachwirkende propagandistische Abziehbilder des „bösen (West-) Deutschen“. Erst ab den siebziger Jahren, als erste Versuche einer politischen Annäherung zwischen Polen und Deutschen unternommen wurden, begannen sich diese Stereotype langsam aufzulösen. Damit entstand im polnischen Film Platz für ein neues Deutschenbild.
Kultserie „Sekunden entscheiden“
Die Serie „Stawka większa niż życie“ (etwa Ein Einsatz höher als das Leben), die auch im DDR-Fernsehen unter dem Titel „Sekunden entscheiden“ mehrfach wiederholt wurde, erzählt von den Taten des sowjetischen Abwehroffiziers Stanisław Kolicki, der unter dem Decknamen J-23 während des Zweiten Weltkrieges tätig ist. Kolicki, im Film als Pole dargestellt, bietet den Russen seine Dienste an. Aufgrund der Ähnlichkeit mit dem deutschen Abwehroffizier Hans Kloss nimmt er dessen Stelle ein und wird der deutschen Abwehr, dem militärischen Geheimdienst, zugeteilt. In der Handlung wird jedoch nicht offensichtlich, dass seine Vorgesetzten sowjetische Offiziere sind. In den letzten Folgen tritt Kloss jedoch als Major der Polnischen Volksarmee auf, der mit einer konspirativen kommunistischen Organisation zusammenarbeitet.
Heutige offizielle Bewertung der Serie
Während ihrer Begräbnisrede für Stanislaw Mikulski bewegte sich die polnische Kulturministerin Omilanowska in Bezug auf die deutsch-polnischen Beziehungen auf diplomatisch schlüpfrigen Parkett. Sie führte dann aber geschickt aus, dass die Serie „eine große Parabel über den Kampf des Guten mit dem Bösen“ darstellt, währenddessen der Held Kloss „den Sieg über das Böseste, das schwärzeste Schlechte verkörperte“. Sie erklärte, dass, obwohl die Serie unter völlig anderen politischen Umständen entstand, die von Mikulski gespielte Figur Heldentum, Mut, Intelligenz und ebenso persönlichen Charme verkörperte.
Auch in Russland populär
Fast alle russischen Presseagenturen informierten über den Tod von Stanisław Mikulski. Die Journalisten erinnerten daran, dass der polnische Schauspieler in Russland ungewöhnlich geschätzt und beliebt war. Während Dutzenden von Jahren gehörte Mikulski zu den bekanntesten ausländischen Schauspielern in der Sowjetunion und später in Russland. Er selbst fuhr sooft er konnte nach Moskau und sagte, dass Polen und Russen sich auf der Kulturebene bestens verstehen. Als Stanisław Mikulski im Jahr 2013 im Moskauer Kino „Chudożestwiennyj” zur Eröffnung des Festivals Polnischer Filme „Wisła“ erschien, spielte das russische Orchester für ihn das musikalische Motiv aus der Serie „Sekunden entscheiden“.
Beerdigung in großem Rahmen
Unter den mehreren Hundert Menschen, die Stanisław Mikulski am Freitag auf seinem letzten Weg begleiteten, waren bekannte Schauspieler, u.a. Emil Karewicz – in der Serie spielte er den deutschen SS-Offizier Brunner, Ignacy Gogolewski und Ewa Wiśniewska, der künstlerische Direktor des Polnischen Theaters in Warschau, Jarosław Gajewski und auch Mitglieder des polnischen Fanklubs Stawka sowie Warschauer Fans von Mikulski.
Nach der Verabschiedungszeremonie im Begräbnishaus wurde die Urne mit der Asche des Künstlers an den Begräbnisort überführt. Die Beerdigung fand unter Teilnahme des Polnischen Militärs statt, deren Abordnung eine Ehrensalve schoss, dazu wurde die Nationalhymne gespielt. Der Sejm gedachte Stanisław Mikulski in einer Schweigeminute.
Stanisław Mikulski wurde am 1. Mai 1929 in Łódź geboren. Im Jahr 1953 bestand er das Schauspielerexamen an der Staatlichen Theaterhochschule in Krakau. Anschliessend trat er Osterwy-Theater in Lublin auf. Im Jahr 1964 zog er nach Warschau und spielte auf den hauptstädtischen Bühnen des Teatr Powszechny, des Teatr Ludowy und des Teatr Polski. In den Jahren 1983-88 war er Ensemblemitglied des Teatr Narodowy.
Parallel zur Theaterkarriere entwickelte sich seine Filmkarriere. Mikulski spielte u.a. in den Filmen „”Godziny nadziei” von Jan Rybkowski (1955), “Cień” von Jerzy Kawalerowicz (1956), “Kanał” von Andrzej Wajda (1957), “Ewa chce spać” von Tadeusz Chmielewskie (1958), “Zamach” von Jerzy Passendorfer (1959) und “Miś” von Stanisław Bareja (1980). Er spielte in 60 Film- und 80 Theaterrollen, aber die bekannteste Rolle von Stanisław Mikulski war die des Hans Kloss aus der Fernsehserie „Stawka większa niż życie” (Sekunden entscheiden) (1968).