Ich bin nicht sicher, ob der Titel so passt. Er wirkt so schlicht und einfach. Und scheint der ganzen, ich möchte meinen, feierlichen Situation, nicht gerecht zu werden. Ich lasse ihn trotzdem stehen. Er sollte Ihnen vermitteln, worum es in dem Beitrag geht. Mir hingegen sollte er helfen, sich nicht in Abschweifungen zu verzetteln. Was recht schwierig ist, wenn man bedenkt, dass die vergangenen Parlamentswahlen in Polen viel mehr als nur ein Urnengang waren – sowohl für das Land, als auch für mich selbst.
Polenstämmig (es ist kein Schreibfehler)
In Deutschland leben viele Polinnen und Polen. Je nach Lesart, wer denn Pole oder Polin sei und wer nur aus Polen stammt (das muss nicht immer übereinstimmen), kommen die Experten auf ein bis zwei Millionen Menschen. Manche gar auf drei (wenn man die alten Migrationswellen aus den 1970er Jahren miteinbezieht). Darunter befinden sich ca. 800.000 Personen, die nur den polnischen Ausweis besitzen. Der Rest sind Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft oder jene, die nur noch den deutschen Pass aufweisen und dennoch daheim beispielsweise Polnisch sprechen. Ich liste diese Zahlen nur vorsichtshalber auf. Nur für den Fall, dass es Ihnen entgangen sein sollte, wie viele Menschen aus Polen unter uns weilen. Wir fallen nun mal nicht so auf (und wenn doch, dann eher positiv – siehe Bildungsabschlüsse und Beschäftigungsrate). Deshalb mag es den Einen oder die Andere überraschen, wie viele es von „uns“ hierzulande gibt.
Keine Sorge, ich schweife ab, aber Sie werden gleich merken warum.
Die Wahlkommission
Wir halten also fest, dass es viele, vergleichsweise sehr viele Menschen in Deutschland gibt, die berechtigt wären an den polnischen (Parlaments-)Wahlen teilzunehmen. Zumindest passiv, als Wähler. Alleine in Darmstadt gäbe es Tausende von ihnen. Angesichts dessen mag es doch ein wenig verwundern, dass es bis dato keine polnische Wahlkommission (keinen Wahlausschuss) in dieser hessischen Wissenschaftsstadt gegeben hat. Am 15.10. hat dieses Versäumnis ein Ende gefunden. Ein glückliches obendrein.
An jenem Sonntag, direkt in der Stadtmitte, in dem prestigeträchtigen Kongresszentrum Darmstadtium gegenüber dem Residenzschloss, in dem unter anderem das Deutsche Polen-Institut beheimatet ist, empfing die OKW 195 (pol. Abkürzung für Kreiswahlausschuss) zum ersten Mal die polnischen Abstimmungswilligen. Sie tat es unter meiner bescheidenen Leitung und dem großartigen und kaum in Worte zu fassenden Einsatz ihrer 12 weiteren Mitglieder.
Der Verlauf
Ich möchte hier nicht auf wehleidig tun. Sie kennen mich inzwischen ein wenig und wissen (so hoffe ich jedenfalls), dass ich nicht so bin.
Aber es ist nun mal so, dass die polnischen Parlamentswahlen für mich und meine Mitstreiter bereits Wochen zuvor, und so richtig schon am Vorabend des Urnengangs, begonnen haben. Dazu sollten Sie wissen, dass die Abstimmungen in Polen bei Weitem nicht so lässig und vergleichsweise locker ablaufen wie ihre deutschen Pendants. Es gibt jede Menge Prozeduren und Standards einzuhalten, auf die man in Deutschland erst gar nicht käme. Sie dienen natürlich der Sicherstellung der Transparenz und der Geheimhaltung des Wahlgangs, sind aber zugleich sehr zeitaufwändig und komplex. Ich möchte Ihnen die langweiligen (und zahlreichen) Details ersparen. Es genügt hoffentlich zu sagen, dass jedes der 13 Kommissionsmitglieder einen jeden Wahlzettel persönlich gesehen haben muss. Und davon hatten wir ja knapp sieben Tausend (Wahlzettel für die Wahlen zum Sejm, Senat und für das an die Parlamentswahlen dran gehängte Referendum). Wenn Sie in der Schule aufgepasst haben, wissen Sie, was dies für uns zu bedeuten hatte. Noch am Montagmorgen tippten wir mithin die letzten Ergebnisse der Senatswahlen in die selbsterstellte Exceltabelle ein. Die letzten Protokolle der allgemeinen Stimmenauszählung schickten wir indes erst gegen 11 Uhr ab. Danach warteten wir auf die Bestätigung aus Warschau. Bis dato haben die meisten von uns seit 30 Stunden und mehr kein Auge zugetan.Wenn Sie also das nächste Mal schlaflos in ihrem Bett liegen und immer wieder nervös auf die Uhr starren, bleiben sie gelassen: Der Mensch kann offenbar selbst die kompliziertesten und langwierigsten Aufgaben bewerkstelligen ohne tagelang geschlafen zu haben. Und er kann das gut.
Doch wir waren bei Weitem nicht die einzigen, die vor Einsatzfreude und Engagement nur so strotzten. In Breslau, genauer in dem Stadtviertel Jagodno, wurden die letzten Stimmen erst gegen 3 Uhr morgens abgegeben (und danach noch viele Stunden ausgezählt). So lang war die Warteschlange. Und wohl auch das Bewusstsein, was bei diesen Wahlen auf dem Spiel stand. Dieser Eindruck wurde durch eine weitere Begebenheit bekräftigt. Eine örtliche Pizzeria („Mania Smaku“, ich halte es für angebracht sie an dieser Stelle namentlich zu erwähnen) belieferte die Wartenden während dieser langen und bemerkenswerten Nacht kostenlos mit mehreren Hundert Pizzen. Als sich die Nachricht herumsprach und tags darauf viele bewegte Breslauer im Lokal anriefen um dort eine Pizza zu bestellen ohne sie abzuholen (es ging also um eine Art Spende), verwies der Inhaber die Spendenwilligen auf Wohltätigkeitseinrichtungen in der Gegend und bat sie, den Geldfluss dorthin umzuleiten. Chapeau bas! Vor allen Beteiligten.
Der Ausgang
Das Ergebnis der Wahlen vom 15.10. fiel übrigens ziemlich deutlich aus. Die Opposition hat gewonnen, auch wenn die PIS die stärkste, wenngleich nicht koalitionsfähige Partei geblieben ist. 7,6 Millionen Wähler wollten sie in ihrer Regierungsfunktion bestätigen. 14 Millionen sahen es anders und stimmten für die anderen Parteien. Darunter 11,6 Millionen für jene, die den Willen bekundet haben, unter der Leitung von Donald Tusk die neue polnische Regierung zu stellen. Das ist ein mächtiges Vertrauensvotum für die bisherige Opposition. Und eine Schlappe für die bisherige Regierung, die im Vorfeld mit verschiedenen Mitteln und jede Menge Wahlwurst (Polnisch für Wahlversprechen und Wahlvergünstigungen) hantiert hat. Böse Zungen sprachen in dem Zusammenhang sogar von Wählerbestechung. Wer kurz vor den Wahlen an den staatlich kontrollierten Orlen-Tankstellen getankt hat, wird dem nur schwerlich widersprechen.
Das Vertrauen der Bevölkerung und ihr Wille zur Veränderung wird umso deutlicher, wenn man die rekordverdächtige Wahlbeteiligung bedenkt. Sie betrug knapp 75% und war somit sogar höher als im Jahre 1989 als es darum ging, das Land von der kommunistischen Fremdherrschaft zu befreien.
Meine Wahlkommission wurde von knapp 3.000 Menschen beehrt. Die ersten ließen sich kurz vor 6 Uhr, also gut eine Stunde vor der Öffnung des Wahllokals blicken. Die Wahlbeteiligung in Darmstadt lag bei exorbitanten 91%. Es kamen sogar welche, die gar nicht stimmberechtigt waren, weil sie entweder die Meldefristen verpassten (man hätte sich bis zum 12.10. aktiv im Konsulat in Köln anmelden müssen), oder nicht mehr den polnischen Pass besaßen. Sie wollten trotzdem dabei sein. Wie wir alle, spürten auch sie offenbar die Geschichtsträchtigkeit des Momentums.
Die Zukunft
Wie geht es also weiter, jetzt, wo die Partei von Jarosław Kaczyński tatsächlich abgewählt wurde? Was haben die polnischen Wahlergebnisse für Deutschland und das deutsch-polnische Verhältnis politisch und wirtschaftlich zu bedeuten?
Nun, die gute und die schlechte Nachricht zugleich lautet: Jetzt wo die PIS weg ist, hängt vieles von Deutschland selbst ab.