Sommer, Sonne, Großdemos in Polen

Dr. Jekyll & Mr. Hyde

Prolog

Ich weiß auch nicht wie die Bazillen immer zu wissen scheinen, wann wir in den Urlaub fahren. Jedenfalls ist unsere Kleine pünktlich zum Tag X krank geworden. Es war nichts Ernstes und trotzdem bedurfte es einer Arztkonsultation. An einem Feiertag. Auf dem Lande. In einer Zeit des Medikamentenmangels. Ich kann mir noch Wochen danach nicht zusammenreimen, wie wir es geschafft haben am selben Tag in Breslau anzukommen.

Dr. Jekyll

Der Anblick der Hauptstadt Niederschlesiens hat erwartungsgemäß alle Mühen und Anstrengungen belohnt. Mächtig und prächtig präsentierte sich der Breslauer Ring. Und der zu der Zeit stattfindende “Jarmark” stand ihm wirklich gut zu Gesicht. Das Wetter ließ anfangs noch zu wünschen übrig. Aber man sollte sich nicht über Dinge ärgern, auf die man keinen Einfluss hat. Wir machten uns folglich um die Wetterlage keinen Kummer.
Unsere Freunde, die zum ersten Mal Polen besuchten, detektierten alsbald in den Breslauer Straßen und Gassen Frankfurt, Nürnberg oder Bamberg – je nach Ort und Stadtteil. Und als wir oben auf der höchstgelegenen Aussichtsplattform der Stadt standen, fassten sie ihre Beobachtungen zusammen: “Ja, es sieht wie eine deutsche Stadt aus. Und so sauber… “. Nun. Die Deutschen und die Polen bewohnen ähnliche Welten. Behalten sie diesen Gedanken für später im Hinterkopf.

Am Abend am Krakauer Marktplatz.


Das Krakauer Stadtbild fügte noch einige italienische Eindrücke hinzu. Florenz tauchte als Begriff auf. Das Stadtteil Kazimierz mit seiner einzigartigen(?) Straßenkultur rief hingegen Berlin auf den Plan. Die polnische Küche, die wir uns in Krakau öfter als in Breslau gegönnt haben, stellte sich für unsere Begleiter ebenfalls als deutschnahe heraus. Nur das Lebensgefühl sei merklich anders. Stimmt. Ich behaupte: Wer keinen Abend auf dem Krakauer Marktplatz verbracht hat, hat nie gelebt. Klingt hochgegriffen, ist aber so.
Zakopane mit seinem Hochgebirge (dem kleinsten Hochgebirge der Welt) wurde zur Zugspitze. Wer schon mal das Vergnügen hatte auf dem Kasprowy Wierch zu stehen, wird dem sicher beipflichten.
Alles in allem verließen unsere Freunde Polen mit der Erkenntnis, dass Europa viel größer ist als mancher in Deutschland zu glauben vermag. Das Land zeigte sich während unseres Aufenthalts von seiner besten Seite. Anders als die polnische Regierung.

Berge bei Zakopane Polens

Mr. Hyde

Demonstrierende, Warschau.

Foto: Elżbieta Heller

Während wir uns dem polnischen Lebensgefühl hingaben und die Natur, Kultur und Gastfreundschaft des Landes in uns aufnahmen, liefen in Warschau in der Politik die Drähte heiß. Am 15.10.2023 (Stand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags) finden in Polen die Parlamentswahlen statt. Sie werden im Allgemeinen als schicksalhaft empfunden. Sollte die derzeitige Regierung der PIS-Partei in die dritte Runde gehen, werden Veränderungen, die sie angestoßen hat, wohl zementiert.

Schafft die Bürgerplattform (und der Rest der Opposition) das Ruder umzureißen, wird wohl vieles noch rückgängig gemacht werden können. Darunter der Dauerzwist mit der EU. Manche Kommentatoren sprechen vom nichts Geringerem als einem Kulturkampf, der seit Jahren an der Weichsel ausgetragen wird und der nun auf seinen Höhepunkt zusteuert. Kein Wunder also, dass der Wahlkampf bereits begonnen hat. Und dass er mitunter mit sehr harten Bandagen und einigen Tiefschlägen geführt wird. Bestes und schlechteste Beispiel dafür ist die sogenannte Lex Tusk. Ein Gesetz, das eine Untersuchungskommission ins Leben ruft, die den russischen Einfluß auf die polnische Politik in den Jahren 2007-2022 untersuchen soll. Der Ausschuss verfügt über Befugnisse, die bis dato den Gerichten, der Staatsanwaltschaft und dem Geheimdienst vorbehalten waren und kann dem Angeklagten für 10 Jahre das aktive Wahlrecht entziehen. Die Entscheidungen und die Urteilsfindung unterliegen der Geheimhaltung. Als Rechtsmittel bleibt dem Angeklagten nur die Revision, jedoch keine Berufung. Mitglieder der Kommission sollen sowohl Indemnität als auch Immunität genießen und dürfen wegen ihrer Tätigkeit im Ausschuß nicht zur Verantwortung gezogen werden. Die Experten befürchten dass solch eine Kommission einen enormen Einfluß auf die herannahenden Wahlen haben könnte. Zu Ungunsten der Oppositionsparteien und insbesondere Donald Tusk, natürlich. Von der endgültigen Aufhebung der Gewaltenteilung ganz zu schweigen. Sämtliche Oppositionsparteien boykottieren dementsprechend die Kommission und verweigern die Entsendung ihrer Mitglieder in diese Körperschaft.

Epilog

Demonstrierende, Warschau.

Foto: Elżbieta Heller

Nachdem am Freitag dem 26.05. der Sejm (das polnische Parlament) das Veto des Senats abgeschmettert hat, unterschrieb der polnische Präsident Andrzej [Andschej] Duda an dem darauffolgenden Montag das Gesetz. Am 04.06. füllten sich die Straßen von Warschau mit Demonstranten. Eine halbe Million Menschen aus allen Landesteilen sei zusammengekommen. Eine Großkundgebung, die nicht nur in Zahlen an die Ereignisse vom 04.11.1989 auf dem Ostberliner Alexanderplatz erinnert. Die Teilnehmer setzten das “lächelnde Polen” dem Vorhaben der PIS entgegen. Neben den Oppositionsführern der Gegenwart, war auch Lech Wałęsa, der legendäre Anführer der Solidarność und der erste Präsident der III Polnischen Republik zugegen. Es war die größte Demonstration im demokratischen Polen. Für den 16.06. ist eine weitere geplant. Diesmal in Posen, der traditionellen Hochburg der Opposition. Derweil sind die ersten Umfragen aufgetaucht, nach denen die von der Bürgerplattform angeführte Koalition jene der PIS in der Wählergunst überholt hat.

Der Sommer in Polen wird heiß und lang. Mein Urlaub dort ist indes zu Ende.