Kriegsreparationen. Ein Gastbeitrag von Mateusz Smolka

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sind in den letzten Wochen wegen der Kriegsreparationen von dunklen Wolken überschattet worden. Seit Jahren sprach man zaghaft darüber dieses Thema erneut aufzugreifen, aber dieses Jahr, zum 83. Jahrestag des Überfalls Nazi-Deutschlands auf Polen, legte die polnische Regierung einen Bericht über die Verluste vor, die Polen infolge der deutschen Aggression und Besetzung während des Zweiten Weltkriegs erlittenen hat. Diese wurden auf 6 Billionen 220 Milliarden 609 Millionen Zloty geschätzt (ca. 1,5 Billionen Euro), und es wurde offen darüber gesprochen, Schritte zu unternehmen, um dieses Geld einzufordern.

Jeder Pole hat schon davon gehört. Die Frage der Reparationen wurde eine Zeit lang zu einem wichtigen Element der polnischen Politik, sowohl außen- als auch innenpolitisch. Nach einigen Monaten ist das Thema ein wenig verstummt, aber es wird sicherlich zurückkommen.
Auf deutscher Seite war es nicht so sehr in den Medien präsent, und wenn es in der Öffentlichkeit auftauchte, wurde es bisweilen mit der Bemerkung abgetan, dass es bereits vor vielen Jahren erledigt wurde. Wenn dem so ist, warum kehrt die polnische Seite zu ihm zurück? Warum ist das Kapitel nach Ansicht der Polen nicht abgeschlossen?
Ich persönlich habe Schwierigkeiten, mir eine Meinung zu bilden und ich bin mir auch bewusst, dass es keine eindeutigen Antworten zu diesem Thema gibt, aber ich möchte gerne eine Handvoll Informationen beziehungsweise Stellungnahmen liefern, die uns den Umgang mit diesem Thema erleichtern können.

Wiedergutmachung nach dem Zweiten Weltkrieg

Auf der Potsdamer Konferenz, die für die europäische Nachkriegsordnung entscheidend war,
wurde das Thema der Reparationen natürlich angesprochen, die Entscheidungsgewalt lag allerdings bei den vier Großmächten: Großbritannien, den USA, Frankreich und der Sowjetunion. Diese waren sich einig, dass Deutschland zwar zu Reparationsleistungen verpflichtet war, dass aber die Erhebung und Verteilung dieser Reparationen (darunter solcher in materieller Form, z.B. Fabrikanlagen oder Maschinen) von den betreffenden Mächten mit Mitteln aus ihren Besatzungszonen, in die das besiegte Dritte Reich aufgeteilt worden war, durchgeführt werden sollte. Es wurde jedoch vereinbart, dass der Gesamtbetrag der Reparationen auf 20 Milliarden Dollar begrenzt wird, was heute etwa 350 Milliarden Dollar entspricht, und dass der Großteil dieses Betrags in Form von Sachleistungen (z. B. Gütern) bereitgestellt werden soll. Es sollte ferner eine internationale Kommission berufen werden, die die Umverteilung überwachen sollte, aber diese Kommission beaufsichtigte lediglich die Reparationszahlungen aus den westlichen Besatzungszonen.

Lenin und Stalin statt Entschädigung

Polen sollte aufgrund einer Forderung der Russen als einziges Land die Reparationszahlungen indirekt, d.h. über die Sowjetunion erhalten. Und in der Tat wurde eine Vereinbarung zwischen Moskau und der provisorischen polnischen Regierung der nationalen Einheit (kommunistische Regierung) geschlossen, wonach Polen 15 % der an die SU geleisteten Reparationen erhalten sollte. Das Problem dabei war leider, dass die sowjetische Seite die volle Kontrolle über diesen Prozess hatte und über die Höhe und die Art der Reparationen entschied. So zum Beispiel erhielt Polen im Rahmen der ihm zustehenden 10 % der Reparationszahlungen für das Jahr 1949 sieben Millionen Kopien von Lenins und Stalins Werken, die in Ostdeutschland in polnischer Sprache gedruckt wurden. Natürlich erhielt Polen auch Entschädigungen, die viel nützlicher waren, aber dieses extreme Beispiel zeigt, wie wenig die Polen damals zu melden hatten. Darüber hinaus war die polnische Seite gezwungen Steinkohle bis zu 10-mal billiger als zu Marktpreisen an die Sowjetunion zu verkaufen in jedem Jahr, in dem sie Reparationen erhielt.
Diese für Polen ohnehin ungünstige Situation verschlechterte sich als die Spannungen
zwischen Ost und West zunahmen . Als der Westen zu dem Schluss kam, dass eine weitere Schwächung Deutschlands nicht in seinem Interesse liegt, und dass er das Land wieder aufbauen muss um einen starken Staat zu schaffen, der in der Lage wäre ein Gegengewicht zu den Kommunisten auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs zu bilden. Die Sowjets
handelten ähnlich um ihren Einfluss in der DDR zu festigen, sie stellten die Entschädigungszahlungen ein und im Zuge ihrer Abhängigkeit von Moskau war auch die polnische Regierung von Bolesław Bierut {Boleslauw Biärut} dazu gezwungen, Gleiches zu tun. Sie tat es durch ein entsprechendes Gesetz im August 1953. Polen erhielt somit keine Reparationszahlungen mehr.

Steht Polen dieses Geld zu?

Die Rechtmäßigkeit der Resolution von 1953 wird nun in Polen angefochten, da sie von einer fremdbestimmten Regierung unter dem Druck Moskaus verabschiedet wurde – und dies ist der Kern des polnischen Standpunkts, der in Deutschland möglicherweise nicht verstanden wird. Für die Polen war das Ende des Zweiten Weltkriegs nicht das Ende der Besetzung. Es wurde lediglich die deutsche Besetzung durch eine sowjetische ersetzt. Aufeinanderfolgende Regierungen, bis zum Sturz der Volksrepublik Polen, werden als Marionettenregierungen angesehen. Dies ist natürlich eine Vereinfachung, aber nicht weit von der Wahrheit entfernt. Die Polen hatten keinen Einfluss auf die Wahl ihres Staatswesens nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Referendum von 1946 zur Legitimierung der neuen Regierung wurde manipuliert und gefälscht. Jede nachfolgende Regierung musste sich zwischen dem was die polnische Gesellschaft will und jenem was Moskau erwartet, lavieren. Und da Moskau die Armee hatte, die auch in Polen stationiert war, wichen die polnischen Regierungen in den wichtigsten Fragen gegenüber Moskau zurück. Jeder Versuch eines Angriffs gegen das neue System musste unterdrückt werden, oft blutig. In Anbetracht dessen ist es nicht verwunderlich, dass die Polen von heute versuchen, die Rechtmäßigkeit dieser Resolution anzufechten. Das Argument der deutschen Seite beläuft sich darauf, dass die Regierung Bieruts international anerkannt war und, was noch wichtiger ist, dass deren Entscheidung später von polnischer Seite vielmals bestätigt wurde, auch nach dem Zusammenbruch der Volksrepublik Polen. Dies geschah zunächst um die im Ostblock herrschende Ordnung nicht zu untergraben, und später, um die Integration Polens in Europa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht zu erschweren. Die beste Gelegenheit um das Thema wieder aufgegriffen bot sich 1990, als Deutschland wiedervereinigt wurde. Zu dieser Zeit jedoch, bestätigte die bereits demokratische III Polnische Republik die Resolution von Bierut und konzentrierte sich darauf die Oder-Neiße-Grenze anerkennen zu lassen. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Abtretung der deutschen Gebiete östlich der heutigen Grenze an Polen, nicht ein Teil der Reparationen war, sondern eine Gegenleistung für die Annexion der östlichen Gebiete des Vorkriegspolens durch die Sowjetunion. Auch hier war Moskau der Architekt dieser Regelung.

Rechtslage

In Anbetracht mehrerer weiterer rechtlicher Sachverhalte, die hier in Kürze nicht dargestellt werden können, überwiegt unter Juristen und Völkerrechtsexperten zum Leidwesen der polnischen Seite die Meinung, dass der Rechtsweg für Warschau ausgeschlossen sei. An dieser Stelle sollte beteuert werden, dass sich die oben beschriebenen Sachverhalte lediglich auf die Wiedergutmachung gegenüber dem Staat beziehen – das bedeutet, dass andere Formen der Kriegsentschädigung – z.B. zivilrechtliche Ansprüche, nach wie vor möglich sind, und die Republik Polen kann in dieser Hinsicht im Namen ihrer Bürger handeln. Zwar wurde 1991 ein Abkommen unterzeichnet, nach dem polnische Bürger, die Zwangsarbeiter waren, 500 Millionen Deutsche Mark erhalten und die polnische Regierung erklärte, dass sie die Ansprüche ihrer Staatsbürger in dieser Angelegenheit nicht unterstützen wird. Aber man muss einräumen, dass diese Vereinbarung zu spät unterzeichnet wurde, und dass vor allem der Betrag zu gering ist, insbesondere im Vergleich zu den Summen, die beispielsweise Israel erhalten hat.

Ungeachtet der komplizierten Rechtslage hat Polen nicht alle versprochenen Reparationen erhalten und hatte keine Kontrolle oder Einfluss auf den Verlauf des Prozesses, der immer noch eine unverheilte Wunde in der polnischen Gesellschaft ist. Berlin versteht das Ausmaß des polnischen Leidwesens aus dem Zweiten Weltkrieg nicht oder will es nicht verstehen. Dieses hängt nicht nur mit den menschlichen und materiellen Verlusten aus den Jahren 1939-1945 zusammen, sondern auch mit der Einordnung Polens in die sowjetische Einflusssphäre für die folgenden Jahrzehnte mit all ihren Folgen, und das zu einer Zeit, in der Deutschland dank des Marshallplans blitzartig wieder aufgebaut wurde. In dieser Hinsicht prallt das polnische Gefühl vom nicht behobenen Unrecht und Ungerechtigkeit auf den kühlen, kalkulierten Formalismus der deutschen Politik, die sich oft, was zynisch anmutet, auf der internationalen Ebene auf Ethik und Moral beruft.

Wie geht es weiter?

Es scheint, dass sich die polnischen Bemühungen zum jetzigen Zeitpunkt eben darauf konzentrieren sollten, der deutschen Seite ihren Standpunkt zu erläutern, die deutsche Seite hingegen sollte versuchen die polnische Position nachzuvollziehen. Der von der polnischen Seite vorgelegte Bericht lässt leider nicht auf eine solche Richtung schließen, ebenso wenig wie die Verlautbarungen des deutschen Außenministeriums, wonach das Thema für Berlin abgeschlossen sei. Es gibt derzeit auf beiden Seiten keine Bereitschaft zur Kommunikation.

Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung dieses Thema gehen wird – wird es uns zum Dialog bewegen oder uns bloß entzweien?

Mateusz Smolka*

Übersetzt aus dem Polnischen von Bogumil Palka

Dieser Artikel ist im Original in der Dezemberausgabe der polnischen, in Deutschland herausgegebenen Zeitschrift „Twoje Miasto“ erschienen.

*Mateusz Smolka – Schlesier, Absolvent des Geschichtsinstituts der Jagielonnen-Universität in Krakau, Autor. Seine Interessen obliegen der Geschichte Mitteleuropas des 19. Jahrhunderts und der Architekturgeschichte. Er schreibt für „Twoje Miasto“.