Polnische Spätsommer-Impressionen

Der politische Sommer in Polen ist heiß gewesen. Darüber haben Sie unter anderem in meinem vorherigen Beitrag nachlesen können. Doch eine alte Weisheit meines Volkes besagt (das lasse ich so stehen, das klingt so indigen!), „Wyście sobie, a my sobie. Każden sobie rzepkę skrobie.“, was in diesem Zusammenhang so viel bedeutet wie, dass das Alltagsleben der Polen sich jenseits der Politik und deren Einflusses abspielt.
Wie wahr. Auch während meines Polenurlaubes hat sich die Politik kein bisschen aufgedrängt. Ich berichte.

Einreise

Der Sinn einer Erholung liegt darin, dem Alltagsstress zu entkommen und die Seele baumeln zu lassen. Wer bis zur Abreise nicht urlaubsreif war, der ist es spätestens nach dem Kofferpacken allemal. Unzähliges Gepäck, das gefühlt jedes Jahr mehr wird, sowie eine Million Dinge, die man im Urlaub brauchen könnte, da man sie schließlich zuhause ebenfalls braucht. Denn Urlaub ist (sollte!) sich wie daheim anfühlen, nur eben im anderen Ambiente. Für einen Auslandspolen mutet eine Reise an die Oder und Weichsel erst recht „heimisch“ an. Schließlich kommt man ja „von dort“. Und tatsächlich fühlen sich viele polnische Auswanderer, sobald sie die Grenze passiert haben, wie zuhause. Oder eben so, wie sie es glauben, dass es sich zuhause anfühlen sollte. Das trifft selbst dann zu, wenn die Betreffenden noch hunderte Kilometer zu fahren haben um in Lublin, Białystok, Olsztyn oder an anderen, aus deutscher Sicht ziemlich abgelegenen polnischen Orten anzukommen. Das ist schön und auch ein wenig romantisch, hat aber auch seine Schattenseiten. Eine davon hat sich mir direkt hinter der Grenze offenbart.

Corona

Am ersten Tankstellenkomplex, den ich anfuhr, stellte ich nämlich fest, dass die Corona-Eindämmungsmaßnahmen in Polen zwar ähnlich sind wie in Deutschland. Allerdings nur auf dem Papier. Anscheinend greift auch hier die Maxime „Wyście sobie, a my sobie…“ kompromisslos durch. Ohne ins Detail gehen zu wollen, fiel ich dort mit meiner FFP2-Maske und den Bemühungen Abstand zu halten wie ein bunter Hund auf. Ein komisches Gefühl wohl für alle Beteiligten. Doch sollte es Ihnen nun vor lauter Schreck über die Leichtsinnigkeit der Polen den Atem verschlagen haben, seien Sie an dieser Stelle schon mal beruhigt – je weiter von der Grenze entfernt, desto mehr Masken tauchen in geschlossenen Räumen auf. Man ist hier doch schließlich nicht in Österreich!

Oppelner Schlesien und der Ohrwurm

Mag sein, dass es an meiner subjektiven Wahrnehmung liegt, aber ich vermisse die Jahre, in welchen die Musikindustrie mit einem Hit zur rechten Zeit für ein echtes Sommerfeeling sorgte. Ich kann nicht behaupten, dass ich sonderlich musikalisch bin, aber die meisten Sommer haben für mich ihren eigenen Soundtrack. Dieses Jahr, und auch schon einige Jahre davor, ist dem allerdings nicht so. Ja, es gibt gelegentlich nette Songs, aber meinen persönlichen Sommersoundtrack habe ich bis zu meinem Heimaturlaub nicht gefunden. Dies änderte sich schließlich an der Umgehungsstraße von Oppeln (pol. Opole), als ein bestimmtes Lied im Radio kam. Wer also Lust auf einen ausgewachsenen polnischen Sommerohrwurm hat, der findet hier (Link zu Youtube), wonach er sucht.
Besser spät als nie.

Oppeln und die Umgebung haben übrigens neben vielen touristischen Vorzügen etwas, was sie von den anderen Regionen Polens auffällig unterscheidet. Und zwar die zahlreiche deutsche Minderheit, die etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung der Region ausmacht. Dies führt unter anderem zu unzähligen zweisprachigen Ortsschildern und vielen Denkmälern für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Diese meist imposanten und äußerst gepflegten Mahnmale erinnern allerdings nicht nur an die uniformierten Kriegsopfer.

Sczedrzik (Szczedrzyk) bei Oppeln
Sczedrzik (Szczedrzyk) bei Oppeln
Gedenkstein in Polen
Sczedrzik (Szczedrzyk) bei Oppeln

Für die Polen sind sie ein nicht zu übersehender Hinweis, dass die Region politisch eine lange deutsche Geschichte aufweist. Die Familiennamen der Gefallenen (siehe Foto) erinnern hingegen die Deutschen, dass Schlesien, oder zumindest dieser Teil davon, ethnisch nie so deutsch gewesen ist wie z.B. Niedersachsen oder etwa Thüringen.

Niederschlesien

Wenn Deutschland mein Zuhause ist, dann ist Niederschlesien definitiv meine Heimat. Die Namen der Dörfer in der Nähe meines Heimatortes, dessen Straßen, Ecken und Plätze kenne ich selbst nach 25 Jahren Bundesrepublik besser als jene aus der Umgebung meines jetzigen Wohnortes. Altersnostalgie mit knapp 40? Naja, wenn man an so einem Ort aufgewachsen ist, ist es doch kein Wunder, dass man ihn immerzu im Herzen trägt! Ich darf vorstellen: Bad Kudowa (Kudowa-Zdrój).

Bad Kudowa (Kudowa-Zdrój) in Niederschlesien
Bad Kudowa (Kudowa-Zdrój) in Niederschlesien

Und dann noch Breslau. Ach, auch an dieser Stelle möchte ich nicht zu sehr ins Detail gehen, denn über Wrocław könnte ich wirklich lange schreiben. So viel Zeit habe ich leider nicht. Die Arbeit, die sich durch den Urlaub angestaut hat fordert skrupellos ihren Tribut. Ich lasse daher die Bilder sprechen.

Breslau (Wrocław) – die Hauptstadt Niederschlesiens

Für mehr davon besuchen Sie uns auf Instagram. Oder besser noch, fahren Sie einfach hin! Die Stadt verschlägt einem zu jeder Jahreszeit die Sprache.

Breslau (Wrocław) – die Hauptstadt Niederschlesiens

Breslau (Wrocław) – die Hauptstadt Niederschlesiens
Breslau (Wrocław) – die Hauptstadt Niederschlesiens

Das Sahnehäubchen auf dem Rückweg

Auf dem Rückweg nach Deutschland schauen wir noch in Bunzlau (Bolesławiec) vorbei. „Kleinbreslau“ nennt es meine Frau anerkennend. Und Sie hat Recht! Wer sich noch kurz vor der Grenze von einem Städtchen wie aus dem Bilderbuch verzaubern lassen möchte, der muss unbedingt in die Keramikhauptstadt Polens, wie Bunzlau auch bezeichnet wird.
Ich persönlich bin der Stadt für eine Sache dankbar. Denn so wie man sich bei einem Gespräch den Anfang und das Ende am besten merkt, so bleibt einem bei einer langen Reise auch der Beginn und deren Abschluss am meisten präsent. Nun schauen Sie mal, was mir aus dieser Reise besonders in Erinnerung bleiben wird:

Bunzlau in Polen
Bunzlau in Polen

Es war der Blick aus dem Fenster unserer Ferienwohnung. Den schön beleuchteten Rathausturm, konnte ich sogar von meinem Bett aus sehen. Das hat mir eine zum Teil schlaflose Nacht beschert, aber ich bin sehr dankbar dafür.
Danke Bunzlau!

Daheim

In Hessen angekommen, stellen wir mit meiner Frau fest, dass wir in Polen so ziemlich alles eingekauft haben – bis aufs Brot. Ich eile daraufhin zum Bäcker und dann in den Supermarkt (Bäcker hatte schon zu). Unbekümmert lasse ich mein Portemonnaie im Einkaufswagen liegen, als ich mich nach einem Baguette bücke (Brot war alle). Ein wachsamer Mitarbeiter des Marktes sieht es, kommt auf mich zu und teilt mir mit, ich solle auf mein Geld besser aufpassen. Im Laden seien nämlich oft „Leute aus Polen“ unterwegs. Ich seufze, bedanke mich für den gutgemeinten Hinweis und denke bei mir: Schön wieder zuhause zu sein.
Der Urlaub ist vorbei.

Epilog
Übrigens Politik fand während meines Aufenthaltes jenseits der Oder natürlich auch statt. An der Grenze zu Belarus (Flüchtlinge), in polnischen Krankenhäusern (Streik der Rettungskräfte) und in internationalen Beziehungen (Abschiedsbesuch von Angela Merkel)