Der Landkreis Uckermark im Bundesland Brandenburg gehört zu den Gegenden mit der höchsten Arbeitslosenquote, der ungünstigsten Perspektive für junge Menschen, aber auch zu den am dünnsten besiedelsten und idyllischsten Flecken der Bundesrepublik Deutschland. Tourismus und Zuzug von Arbeitsmigranten entwickeln sich.
In dieser Gegend sind in den letzten Jahrzehnten manche Schulen geschlossen worden, und die, die es noch gibt, buhlen mit verschiedenen Angeboten wie beispielsweise Inklusionsunterricht (etwa an der Modellschule des Landes Brandenburg) um die noch verbleibenden Kinder. An einigen Stellen, wo staatliche Schulen geschlossen wurden, gründeten sich Trägervereine meist mit kirchlicher Unterstützung. Man stampfte die sogenannten ‘Schulen in freier Trägerschaft’ aus dem Boden. Hauptsächlich finanzieren sich diese durch Elternbeiträge, Spenden und zu einem geringen Teil auch aus Zuweisungen durch das Land.
Wo nicht genügend Kinder – dort genügend qualifizierte Lehrkräfte?
Aufgrund weiter Wege zum nächsten Bus- oder Bahnhof (wenn überhaupt noch etwas fährt) oder zum nächsten Kinderarzt, sind vor allem junge Lehrer kaum noch für eine Stelle im Flächenlandkreis zu gewinnen. Gelegen kommt in der Uckermark die Nähe zu Szczecin (Stettin). Szczecin ist immerhin eine Hafenmetropole an der Oder mit weit über einer halben Million Einwohnern. Nicht zuletzt durch die dortige Universität und die Nähe zu Berlin gibt es sehr viel qualifiziertes Personal – auch für die Schulen. Die staatlichen, aber vor allem die freien Schulträger kommen mittlerweile nicht mehr darum herum, sogenannte Headhunter anzuheuern, um Personal für ihre Bildungseinrichtungen anzuwerben. Das Anwerben jedoch funktioniert mit Erfolg. Dies zeigt das Beispiel einer kleinen evanglischen Schule in der 700-Seelen-Gemeinde Tantow, nur wenige Kilometer Luftlinie von der deutsch-polnischen Staatsgrenze entfernt.
In der Tantower Schule, hinter der ein christlich geprägter Trägerverein steht (im Wirkungsbereich der Nordkirche Mecklenburg-Vorpommern), arbeiteten und arbeiten seit ihrer Gründung im Jahr 2007 bis zu 10 Lehrer und Erzieher aus Polen. Ein großer Gewinn; denn unter den zugezogenen polnischen Familien aus dem Raum Szczecin sprach sich schnell herum: “Hier gibt es polnischsprachige Muttersprachler, so dass unsere Kinder die reale Chance haben, sich an einer deutschen Schule zu entwickeln.” Daher sind aktuell fast die Hälfte der Kinder aus Polen. Für die Schule ist dies von großer Bedeutung, denn ohne diese Kinder könnte sie wohl kaum überleben.
Gab es anfangs viele Vorurteile bei der Landbevölkerung und wurden übliche Klischees gegenüber ‘den Polen’ geäußert, so machten sich die ehrgeizigen polnischen Lehrer mit Angeboten wie Sprachabendkursen für Erwachsene, der Gründung einer Blechbläsergruppe für Kinder oder der Kooperation mit Schulen aus Szczecin oder Gryfino (Greifenhagen) schnell vor Ort und in den Lokalmedien einen guten Ruf.
Die Sehnsucht nach Anerkennung und Wertschätzung
So sehr das nach heiler Welt klingt: Es gibt ein bemerkenswertes – vielleicht sogar politisch gewolltes oder zumindest aus anderen Gründen in Kauf genommenes – Problem. Dies beruht darauf, dass die Ausbildung von Lehrern aus Polen in der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannt wird. Dies gilt selbst dann, wenn ausreichende Sprachkenntnisse nachgewiesen werden können. Im Ergebnis sind die hier lehrenden Lehrer auch nach langjähriger Tätigkeit nicht als Fachkräfte anerkannt.
Einziger Ausweg für die betroffenen polnischen Lehrkräfte ist derzeit ein nur geringfügig bezahltes Jahrespraktikum an einer staatlichen Schule in Deutschland zu absolvieren. Alternativ können sie den Berufsneustart bei einem freien Träger beginnen. In Tantow wurde beim Schulverein in freier Trägerschaft daher angefragt, sich um den Zusatztitel “Staatlich anerkannte Ersatzschule” zu bemühen. Doch genau das will man hier, wie auch anderorts, partout nicht.
Ein plausibler Grund für diese Ablehnung ist, dass Schulen in freier Trägerschaft meist nicht nach Tarif bezahlen wollen – oder können. Auch besteht man auf der Unabhängigkeit vom Staat. Für die ausländischen Beschäftigten bedeutet dies, dass sie trotz Lehrtätigkeit somit auf der Stelle treten: Ein beruflicher Aufstieg und die Anerkennung als Fachkraft bleibt ihnen damit verwehrt. Hinzu kommt, dass das Bestreben in Richtung dieser formalen Wertschätzung der Arbeit im Kollegenkreis gelegentlich zu Reaktionen eigentlich vergangen geglaubter Zeiten führt: “Die Polen verdienen in ihrer Heimat noch weniger” oder “Die Polen nehmen Deutschen Arbeitsplätze weg”.
Wie Offenheit zum Eklat führen kann
An der Schule in Tantow machte nun ein zu Jahresbeginn formulierter offener Brief des polnischsprachigen Teils des Lehrerkollegiums in der Lokalpresse Schlagzeilen. In dem auch Polen.pl vorliegenden Schreiben heisst es unter anderem: “Der Schulvorstand wird aufgefordert, sich um den Titel Staatliche Ersatzschule zu kümmern”. In diesem Kontext wird auch die Höhe der Monatsgehälter, welche teilweise unter 1000 Euro netto monatlich liegen sollen, moniert. Man argumentiert auch damit, sich in den letzten Jahren zum Teil auf eigene Kosten selbst weitergebildet zu haben und dass Urlaubs- oder Weihnachtsgeldzahlungen bei vergleichbaren Arbeitgebern durchaus üblich sind.
Offener Brief der Lehrer bei Nordkirche und Schulvorstand falsch interpretiert?
Der offene Brief der Lehrerschaft kam ausgerechnet in Kreisen der Evangelischen Kirche gar nicht gut an. Mit einer als “völlig ungerecht begründeten Forderung” verneinte ein dem Trägerverein vorstehender Pfarrer aus dem uckermärkischen Hohenselchow-Groß Pinnow den Lehrerwunsch. Auch sei es für den Trägerverein nicht länger mit anzuschauen, dass das “deutsche Kollegium” sich weiter diskriminieren lassen müsse, indem man sich in Polnisch unterhalte. “Die Umgangssprache an unserer Schule ist deutsch. Wir weisen Sie hiermit an, dieses ab sofort umzusetzen”, steht im Antwortbrief. Nur so könnten die Polen ihre Deutschkenntnisse weiter verfestigen, eine Ausgrenzung des deutschen Personals würde vermieden. Den Wunsch nach Anerkennung tat man recht lapidar damit ab, dass die Erlangung des verlangten Titels für die Schule in Tantow nicht nötig sei. Es laufe nach Auffassung des Trägervereins alles nur darauf hinaus, dass die Verfasser des Schreibens die Schule verlassen wollen.
Lehrer könnten auch ein Schlupfloch nutzen
Der massive Lehrermangel in Brandenburg erlaubt es derzeit, im Rahmen einer Sonderregelung doch noch an staatliche Einrichtungen zu wechseln. Bei entsprechender Führung erhalten die ausländischen Lehrkräfte nach nur einem Jahr ihre Anerkennung, wie Polen.pl aus Schulamtskreisen erfuhr. Das könnte der Argumentation der Schulen in freier Trägerschaft zum Problem werden lassen, wenn man davon ausgeht, dass die dort tätigen Lehrer auch eine formale Anerkennung ihrer Arbeit und die Qualifizierung ihres Lebenslaufs anstreben.
So geschehen in Tantow: Für den Schulstandort Tantow ist unterdessen eine Situation entstanden, in der binnen eines halben Jahres zwei Lehrer kündigten und eine weitere Lehrerin nur noch stundenweise unterrichtet. Dem Vorstand blieb somit nichts anderes übrig, einen Lehrer im Vorruhestand für das nach den Sommerferien beginnende Schuljahr anzustellen, welcher sich seine Rente damit noch etwas aufbessert.
Mögliches Fazit
Die Situation in Tantow an der polnische Grenze zeigt, dass die Anerkennungsproblematik von Abschlüssen und Tätigkeiten die Arbeitsmarktfreizügigkeit de fatco einschränkt. Der vorgesehene Gleichbehandlungsgrundsatz der Europäischen Union kann von den polnischen Lehrern in Deutschland nur unter bestimmten Voraussetzungen genutzt werden: Wenn sie an der ‘richtigen’ Schule tätig werden. Gerade in Regionen, die ohnehin von Schul- und Lehrermangel geprägt sind, werden aufgrund der bestehenden Gesetzes- und Finanzierungslage die Schulträger zu ausweichenden Aktivitäten bei der Anerkennung von polnischen Lehrern gezwungen. Am Ende scheint es doch am Geld zu liegen, weshalb die eigentlich unaufwändige Anerkennung als ‘Staatlich anerkannte Ersatzschule’ nicht in Betracht gezogen wird. Wahrscheinlich ist es nur die Sorge, dass die vergleichsweise gering bezahlten Pädagogen mit der Aussicht auf einen höheren Verdienst schnell die Schule verlassen.
Was in Tantow geschah, ist zwar im Ergebnis ähnlich, aber hat zusätzlich noch eine Kluft zwischen die doch mittlerweile so gut zusammengewachsene deutsch-polnische Lehrerschaft geschlagen.
Was geschehen sollte: Einerseits eine Anerkennung der Arbeit polnischer Lehrer auch in Schulen in freier Trägerschaft, andererseits die Sicherung einer auskömmlichen Finanzierung solcher Schulen durch das jeweilige Bundesland, damit die entsprechenden Anerkennungsverfahren und marktgerechte Gehälter möglich sind.
Informationsmöglichkeiten zum Beitrag:
www.schuletantow.de (Schule Tantow)
http://www.moz.de/heimat/lokalredaktionen/uckermark/artikel90/dg/0/1/1300322/ (Der Tantower Schule laufen die Lehrer weg – vom 11.07.2014 Märkische Oderzeitung)