(Berlin, JP) In Ostpolen gibt es viel Sehenswertes: Eine größtenteils bis heute lebendige Vielfalt an Religionen und ethnischen Minderheiten, Spuren der Zeit- und Kulturgeschichte des Landes in sonst sehr modernen Städten und unberührte Natur. Auf unserer Reise Anfang August haben wir einiges gelernt und noch mehr erlebt. Für Euch berichten wir davon immer freitags in einer Artikelserie.
Historisches trifft Moderne
Matthias Kneip erinnert in der Einleitung seines Buches „Reise in Ostpolen. Orte am Rand der Mitte“ daran, dass das historische Zentrum Polens eigentlich im Osten des Landes liegt. Unverkennbar bleiben in vielen Landstrichen die Spuren einer wechselvollen Vergangenheit und die Narben der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Da sind die sowjetischen Bunker auf der so genannten Molotow-Linie. Sie waren Teil eines ausgedehnten Festungssystems, mit dem sich die Sowjetunion nach dem Hitler-Stalin Pakt gegen das nationalsozialistische Deutschland, ihren neuen aggressiven Nachbarn, sichern wollte.
Zamość und Białystok, zwei der größeren Städte in dieser touristisch wunderbar erschlossenen Region, wirken auf den ersten Blick wie zwei verschiedene Welten. Hier: Die „ideale“ Renaissancestadt verzaubert mit ihrer Schönheit, der mittlerweile zu neuem Glanz verholfen wurde. Dort: Das Zentrum von Białystok ist hingegen durch die Architektur der 1950er und 1960er Jahre geprägt. Schaut man genauer hin, lassen sich schnell Brücken zu anderen Epochen der Vergangenheit schlagen. Wir haben in Białystok die neue Oper bewundert und den polnischen Blues entdeckt. Stadtführer Bogosław Lipka zeigte uns die Geburtshäuser von Marek Grechuta und Rosa Luxemburg in Zamość. Nahe der am Fluss Bug gelegenen Ortschaften Mielnik und Drohiczyn suchten wir nach sowjetischen Bunkern der Molotow-Linie.
Schmelztiegel der Kulturen und Religionen
Wo sonst ist es in Polen möglich, an einem Tag eine Moschee, eine Synagoge, eine katholische und eine orthodoxe Kirche zu besuchen? In Ostpolen existieren diese Religionen traditionell nebeneinander. Hier existieren eine weißrussische, eine litauische und sogar eine tartarische Bevölkerungsgruppe mit islamischer Religion. In vielen Städten finden sich außerdem liebvoll restaurierte oder wenigstens dokumentierte Spuren des früheren jüdischen Lebens. Dieses haben die deutschen Besatzer durch die Ermordung der polnischen Juden während des Zweiten Weltkriegs vielfach ausgelöscht. Wir tauchten auf unseren Erkundungen näher in das multikulturelle Polen ein.
Natur in Nordostpolen
Mit einer Bevölkerungsdichte von 60 Einwohnern pro Quadratkilometer ist Podlasie außerhalb der Städte eine der am geringsten besiedelten Regionen Polens. Eiszeitliche Hügellandschaften, die Ausläufer der Masurischen Seenplatte im Norden, weite Flussgebiete im Zentrum und eine der letzten zusammenhängenden europäischen Urwaldflächen im Südosten verschaffen dem Besucher unvergessliche Naturerlebnisse.
Eine malerische Landschaft um den Grenzfluss Bug, vier Nationalparks und drei Landschaftsparks hat die ostpolnische Woiwodschaft Podlachien zu bieten. Mit dem Biebrza-Nationalpark verbinden sich gleich zwei Rekorde: Erstens ist er der größte Nationalpark Polens, zweitens umfasst er eines der flächigsten Sumpf- und Torfgebiete Europas. Wenn der Fluß Biebrza im Frühling über seine Ufer tritt, kommen Besucher aus aller Welt, um über 260 Vogelarten zu beobachten. Der eine oder andere hofft, einem Elch zu begegnen. Wisente in freier Wildbahn leben im Białowieża-Nationalpark. Nicht zuletzt stammt die polnische Biermarke Żubr (deutsch: Wisent) aus einer Brauerei, die hier 1768 in Dojlidy (heute Teil von Białystok) eingerichtet wurde.
Fortbewegen können sich Aktive je nach den konkreten Bedingungen vor Ort in den Nationalparks zu Fuß, mit dem Fahrrad, Kajak oder Floss. Unzählige markierte Wege helfen bei der Orientierung. Der längste von ihnen, die so genannte Storchenroute, erstreckt sich über 400 km durch die Nationalparks Białowieża, Biebrza, Narew und Wigry. Wer sich erst noch mit Flora und Fauna vertraut machen möchte, tut dies am besten auf den Naturlehrpfaden oder in parkeigenen Museen. Wir haben zwei unvergessliche Tage im Narew-Nationalpark verbracht.
Wo Abenteuer- und Bildungsurlaub dicht beieinander liegen
Wollten wir Ostpolen gebührend erkunden, sind wohl mehrere Jahresurlaube von Nöten. Das haben wir uns schnell eingestanden. Reizvoll an unserer Reise fanden wir aber vor allem, dass wir innerhalb von zwei Wochen so viel Gegensätzliches erlebt haben. Da war einerseits unser Abenteuerurlaub auf einsamen Campingplätzen in malerischen Nationalparks, andererseits besuchten wir moderne, ja pulsierende Städte. Viele Gemeinden verschönern ihre Sehenswürdigkeiten und verbessern ihre Service derzeit dank EU-Finanzmitteln. Wir bekamen von den Mitarbeitern der zahlreichen Touristeninformationen immer wieder wertvolle Hinweise auf Sehenswürdigkeiten, kulturelle Veranstaltungen, regionale Küche und Übernachtungsmöglichkeiten. Das Personal der Restaurants, Hotels und Campingplätze war offen gegenüber Extra-Wünschen und drückte großzügig zuweilen das eine oder andere Auge zu. Im Gegensatz zu manch anderem Touristenspot ist Ostpolen immer noch entspannt und nicht kommerziell.
Nun fragt sich der geneigte Leser sicher, warum bisher so wenige deutsche Touristen den Weg nach Ostpolen fanden. Mit dem Zug ist man zwischen Berlin und Białystok zwischen 9 und 11 Stunden unterwegs – je nach Verbindung. Die Autofahrt über endlos wirkende Landstraßen kann lang werden. Wir wurden auf unseren Wegen durch die Ortschaften jedoch mit einem malerischen Bild belohnt: In den Vorgärten der liebvoll gepflegten traditionellen Holzhäuser ergießt sich nicht selten ein Blumenmeer. Menschen jeden Alters genießen draußen die Abendsonne. Grüppchenweise sind die Kinder unterwegs, um im Dorfladen Eis zu kaufen. Auf dem Weg in den Osten liegen von Deutschland aus auch andere Sehenswürdigkeiten Polens. Wir haben auf der Hinfahrt in Poźnan (Posen) und Toruń (Thorn) Station gemacht und auf dem Rückweg einen Tag in Kraków (Krakau) eingeschoben. Neben diesen Orten lernten wir die besondere Atmosphäre in Ostpolen schätzen.
Ein Reiseprojekt in Kooperation mit dem Polnischen Fremdenverkehrsamt in Berlin
Unser herzlicher Dank gilt dem Polnischen Fremden-verkehrsamt in Berlin, das unsere Recherche finanziell unterstützte und uns mit vielen nützlichen Hinweisen bei der Auswahl der Reiseziele beriet.
Ich danke außerdem einem ganz besonderen Menschen in meinem Leben für die gemeinsamen schönen Erlebnisse und die vielen wertvollen Gespräche, in denen ich meine Gedanken vor dem Schreiben ordnen konnte.