Verschlimmbesserungen zwischen Berlin und Krakau

Das Wortungetüm Verschlimmbesserungen sollte nur sparsam verwendet werden – doch was die Deutsche Bahn und die polnische PKP Intercity seit mehreren Jahren mit der einst beliebten, rund 600 Kilometer langen Eisenbahnverbindung zwischen Berlin und Krakau machen, ist nun einmal etwas, das die Verwendung dieser Wortschöpfung, die Ambivalenz widerspiegelt, rechtfertigt.

In diesen Tagen startete die Deutsche Bahn eine Busverbindung auf der Strecke Berlin Hauptbahnhof nach Krakow Glowny (Krakau Hbf.) und vermeldet in ihrer Pressemitteilung stolz, dass ab dem 15. April ihre „IC-Busse“ zu „attraktiven Reisezeiten“ verkehren. Es ist ein Angebot der Deutschen Bahn ohne polnischen (Eisenbahn-)Kooperationspartner, denn das Angebot ist auf innerpolnischen Teilstrecken nicht zu nutzen.

Diese neueste Entwicklung ist ein weiterer Tiefpunkt auf der seit Jahren andauernden Verschlechterung auf dieser Strecke. Deren Attraktivität besteht eigentlich darin, in einer Direktverbindung  die Metropole Berlin mit Wroclaw/Breslau, Schlesien (Opole/Oppeln, Gliwice/Gleiwitz, Katowice/Kattowitz) sowie mit der Kulturstadt Krakow/Krakau untereinander zu verbinden. Und die umgekehrt Krakow mit Wroclaw und Berlin verbindet, was die polnische Sichtweise kennzeichnet.

„Fliegender Schlesier“ als Vorbild?

Das Schlesische Wochenblatt, eine Zeitung der deutschen Minderheit in Polen, wies vor einigen Monaten darauf hin, dass in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre einmal der „Fliegende Schlesier“ genannte Schnellzug eine Tempomarke vorgab, in der die 500 Kilometer lange Strecke Berlin-Beuthen (heute Bytom) in viereinhalb Stunden bewältigt wurde. Zuletzt benötigte der Eurocity Wawel fast doppelt soviel Zeit für die gleiche Strecke. Dieser (eisenbahn-)nostalgische Rückblick soll hier nicht der Vergleichs-Maßstab sein, obwohl die Autoren des „Schlesischen Wochenblatts“ das weitere Drama ahnten.

Vielmehr: In den 1990er und in der ersten Hälfte der 2000er Jahre boten die deutsche und die polnische Bahn auf dieser Strecke einen Intercity (bzw. ab 2006 den Eurocity Wawel) an, der zwar langsam fuhr, aber eben eine Direktverbindung war. Wer es eiliger hatte, nahm einen ebenfalls direkten D-Zug, der nachts fuhr, und reiste – je nach Budget und Alter – im Sitz-, Liege- oder Schlafwagen um dann am Morgen am Ankunftsort mehr oder weniger ausgeschlafen seinen Zielen nachzugehen.

Auch für preisbewusste Schulklassen nicht mehr zumutbar

Nach etappenweiser Einstellung (ein Kurswagen als Zwischenschritt) der Nachtverbindungen war davon bis zum Fahrplanwechsel im Dezember 2012 nur noch der Eurocity Wawel geblieben, auch vom Autor dieses Kommentars geliebt und gescholten zugleich.  Doch die dort von mir geschilderten Probleme in der alltäglichen Zusammenarbeit zweier zentraleuropäischer Eisenbahnunternehmen waren natürlich Peanuts im Vergleich zur kurz darauf erfolgten Verkürzung auf die Strecke Hamburg/Berlin-Wroclaw (Breslau), die de-facto einer Einstellung der Verbindung nach Schlesien und Krakau gleichkommt. Selbst für preisbewusste Schulklassen auf dem Weg nach Krakow oder in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in Oswiecim ist mehrmaliges Umsteigen in nicht aufeinander abgestimmte Züge nicht mehr zuzumuten.

Jetzt schlägt die Verbindungssuche auf www.bahn.de Umsteigeverbindungen über Warschau vor, oder eben seit neuestem den „IC-Bus“. Die Deutsche Bahn rühmt sich in ihrer Pressemitteilung damit, dass in ihrem „Vier-Sterne-Bus“ zu den Standards „Klimaanlage, großzügiger Sitzabstand, Platz für Gepäck und WC“ gehören. Kleine Snacks und Getränke gebe es ebenfalls an Bord. Ehrlich gesagt: Nichts, was nicht auch die Vorgänger-Züge geboten haben, sieht man vom immer mal wieder ausgefallenen Speisewagen oder einer nicht stets funktionierenden Klimaanlage großzügig ab.

Verlust an Reisekultur

Was die Deutsche Bahn nicht schreibt: Zahlreiche Unterwegsbahnhöfe werden von ihrem „IC-Bus“ nicht angesteuert, seine Füße kann man sich im Gang nicht vertreten und mit den mitreisenden Kindern von Lokomotive bis Zugende spazieren, geschweige denn ein „Schabowy“-Kotelett im „WARS“-Speisewagen frisch gebraten serviert zu bekommen. Besonders dramatisch: Die Möglichkeit für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, zu reisen, ist im Bus erheblich eingeschränkt, was die Bahn in einem FAQ zum „IC-Bus“ fast versteckt.

Kurzum: Der „IC-Bus“ markiert einen erheblichen Verlust an Reisekultur und verlagert noch mehr Personenverkehr von der Schiene auf die Straße. Eine Rückkehr auf die Schiene rückt in immer weitere Ferne. Und seitens der beteiligten Eisenbahnen gibt es keine klar erkennbaren Perspektiven, wann der Modernierungsstau auf einigen Teilstrecken in Polen und Deutschland behoben ist. Was es umso leichter macht, die Schuld für die Misere auf das jeweilige andere Eisenbahn-Unternehmen bzw. Land zu schieben. Und dieser Zwist wiederum uns Reisenden erlaubt, auf „die Bahn“ oder „die PKP“ zu schimpfen, und beim nächsten Mal doch wieder einen Flug bei „Air Berlin“ zu buchen oder das eigene Auto zu nehmen.