Categories: Glosse

Ein Zettel aus Kreta

Es ist Abend. Ich sitze auf dem Balkon und genieße die warme Brise. Unten auf der Straße ist so wenig los, dass ich das Meeresrauschen problemlos hören kann. Tja, auch auf Kreta ist der Herbst eingekehrt und hat die meisten Touristen, wie bei uns die Störche, weggescheucht. Die warme Briese wird leider folgen. Schon für morgen wurde ein Wetterumschwung angekündigt.

Wichtigeres

Aber Wetter beiseite. Es gibt Wichtigeres zu bereden. Und zwar einen Zettel, der im Treppenhaus direkt vor der Tür meiner Ferienwohnung hängt. Er verweist darauf, dass Russland die Ukraine angegriffen hat und dass jeder Gast dazu angehalten ist Energie zu sparen. “You Can Make the Difference” heißt es zum Schluss.

Fragen

Während ich mir eine Strickjacke überwerfe und bereue, ein kühles Bier gekippt zu haben (es wird langsam offensichtlich, dass der Wetterumschwung keineswegs bis morgen warten will), frage ich mich wie es dazu kommen konnte, dass ein traditionell russlandfreundliches Land wie Griechenland zu einem Umdenken fähig war, während in Deutschland so viele sich so schwer damit tun.

Schwerin

Zu direkt?
Es ist nur ein Zettel?
Aber, aber. Haben Sie gehört was die Menschen, die sich in Schwerin und anderswo in Ostdeutschland versammeln, fordern? Haben Sie mitbekommen welcher Argumente sie sich bedienen und in welchem Tonfall sie ihre Forderungen vortragen? Wir leben in Zeiten der gesellschaftlichen Radikalisierung und Simplifizierung. Und wir werden sie nicht los, indem wir sie ignorieren oder sie uns wegwünschen.

Nicht nur der Osten

Während also die Griechen auf die Ursache (russische Invasion) und die Teillösung (Energiesparmaßnahmen) der gegenwärtigen Krise verweisen, verlangen einige Deutsche die Beendigung der Russlandsanktionen. Auf die gleiche Ausgangslage reagieren sie extrem gegensätzlich. Die einen rufen zum bewussten Umgang mit Energie auf. Die anderen zur unbewussten Beihilfe zum Völkermord. Milliardenschwere Überweisungen an den Kreml in Kriegszeiten, wären nämlich nichts anderes als das. Es ist an der Zeit das klar zu stellen.

Besagte Aufrufe sind übrigens nicht nur im Osten zu vernehmen. Ich kann diese “Raus aus der NATO – Frieden mit Russland”- Aufkleber entlang des Rheins echt nicht mehr sehen.

Hoffnung

Während mich die neuaufgelegten Montagsdemos in Schwerin pessimistisch einstimmen, haucht der Zettel vor der Tür meiner Ferienwohnung Hoffnung in mich hinein. Viele in Europa haben wohl verstanden worum es geht.

Und Sie?

You can make the difference. Behalten Sie es im Hinterkopf. Dann kann uns keiner was. Auch kein Wetterumschwung.

Bogumil Palka

Bogumil ist in Polen geboren und seit seinem 14. Lebensjahr in Deutschland zu Hause. Er studierte Pädagogik in Bielefeld und Stockholm und "Polen und Deutsche in Europa" (kurz EuPoD) in Kiel und Posen. Bogumil absolvierte zahlreiche Praktika im deutsch-polnischen Kontext, darunter am Deutschen-Polen Institut in Darmstadt und dem Polnischen Generalkonsulat in Hamburg. Er war Teilnehmer und Veranstalter verschiedener Begegnungen, Projekte und Tagungen und ist freiberuflicher Sprachmittler und Teamer.

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  • blabla, der Zettel hängt schon in ähnlicher Form seit Jahren dort, du buchst ein Apartment, Zimmer, Haus und sollst nochmal 5-10 Euro pro Tag für die Klimaanlage zahlen.

    Natürlich soll man generell Energie sparen, aber das hier als Aufhänger zu bringen ...pfff

  • Soso, sie können diese “Raus aus der NATO – Frieden mit Russland”- Aufkleber entlang des Rheins echt nicht mehr sehen. Mich widert eher diese Schwarzweißmalerei "Wir sind immer die Guten" an, ich fühle mich dabei wie damals unter dem sozialistischen Dogma.

  • Polen.pl sollte IMHO (und wahrscheinlich auch der Satzung des Trägervereins nach) die Völkerverständigung fördern. Am besten derzeit Beiträge zur Versöhnung von Polen und Russen und Ukrainern in der Zivilgesellschaft liefern. Für diese Meinung wird man derzeit leider "im Westen" überwiegend geächtet. Ebenso wenig wie "den Griechen" gibt es übrigens "den Polen". Ich fühle mich auch nicht als typisch deutsch. Vor zehn Jahren war ich noch stolzer Europäer. Aber seitdem hat sich die EU nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Und den Unterschied zwischen dem hastig anerkannten Kosovo und dem Donbass konnte mir bei meinem bescheidenem IQ 140 bisher niemand logisch erklären. Die Ukraine kenne ich jedenfalls seit ihrer Neugründung (beziehungsweise schon seit 1982) als korruptes und zunehmend nationalistisches Land. Beste Grüße

    • Lieber Leser, vielen Dank für Ihre Meinung!
      Die Völkerverständigung funktioniert nur, wenn alle Beteiligten Interesse daran haben sich zu verständigen. Das geht schlecht (diese Untertreibung ist hier eigentlich unangebracht), wenn eine Seite (Russland) die andere Seite (die Ukraine) mit Bomben- und Raketenangriffen terrorisiert, Kinder entführt (nach russischen Angaben sind es inzwischen 700.000!) und das Land mit Minenfeldern überseht. Das ist ein Grundsatz, dessen Verinnerlichung keines hohen Intelligenzquotienten bedarf. Im Übrigen: Millionen von Ukrainern sind obdachlos, vertrieben, haben ihr Hab und Gut unwiederbringlich verloren und legen sich nachts schlafen ohne zu wissen, ob sie den nächsten Morgen erleben werden. Moralisierende Aussagen und Generalkritik an der Ukraine, der EU, dem internationalen Status von Kosovo, dem Donbass und unserem Portal - vorgetragen aus der Sicht eines Landes und einer Gesellschaft, deren größtes Problem derzeit der Dauerregen darstellt - halte ich für unangemessen.
      Beste Grüße.

  • Vielen Dank für Ihre Antwort! Sag ich doch, Schwarzweißmalerei mit Ausblendung der ganzen Vorgeschichte.
    Peace! Von Polen.pl würde ich mir Verständigungssignale in der Zivilgesellschaft wünschen.

    Der Dauerregen ist übrigens eher ein Segen, seit 2018 sinkt unser Grundwasserspiegel, auch das kann man differenziert betrachten. Ich bin froh, kein russischer Staatsbürger zu sein, aber würde mich auch nicht begeistert für das ukrainische System erschießen lassen wollen. Bekannte meiner ukrainischen Freunde sind schon "unfreiwillig gefallen" ...

    https://www.youtube.com/watch?v=1q-Ga3myTP4

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Bogumil Palka

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