Kriegsreparationen. Ein Kommentar

Ein persönlicher Kommentar zum Gastbeitrag von Mateusz Smolka.

Das Ausmaß und die Skrupellosigkeit der deutschen Kriegsverbrechen in Polen, lassen sich nicht von der Hand weisen und nur bedingt in Worte fassen. Es gibt kaum eine Familie an Oder und Weichsel, die nicht auf eine durch das Nazideutschland verursachte Tragödie zurückblicken würde. Meine Familie stellt da keine Ausnahme dar. Sowohl mein Opa als auch meine Oma mütterlicherseits, wurden ihrer besten Jahre beraubt, in dem Sie zwischen Oktober 1939 und April 1945 zuerst in Ostpreußen und später in Bayern Zwangsarbeit verrichten mussten. Fernab der Heimat, Ihrer Familien und diesem gewissen etwas, was wir im Allgemeinen als Menschenwürde bezeichnen. Beide bekamen Mitte der 1990er etwa 2.000 Mark Entschädigung. Das machte knapp 1.50 Mark pro Tag ihrer Sklavenarbeit. Denn darum hatte es sich schließlich gehandelt – um Versklavung. Die Tatsache, dass die Familien, denen meine Großeltern zugewiesen wurden, sie gut bis nahezu familiär behandelt haben, kann absolut nichts daran ändern. Insbesondere meine Oma, blond und blauäugig, erfreute sich großer Beliebtheit und „dürfte“ sich oft anhören, dass sie bestimmte keine „echte“ Polin sei. „Du musst deutsches Blut haben, mein Kind“ lautete einer Ihrer ersten erlernten Sätze auf Deutsch. Der Spruch, Sie sei keine Polin, war selbstredend als Kompliment gemeint.

Leiden

So absurd das in diesem Kontext klingt – meine beiden Großeltern hatten noch großes Glück. Schließlich hätte sie ein weitaus schlimmeres Schicksal ereilen können. Mindestens 5.000.000 polnische Staatsbürger verloren im Zuge der deutschen Besatzung das Leben. Tausende von Kindern wurden ihren Eltern entrissen und kamen über die sogenannten Verwahrlager oder schlicht Kinder-KZ, wie jenes im besetzten Łódź, in die regimetreuen deutschen Familien. Viele von ihnen, womöglich die meisten darunter, wussten Zeit ihres Lebens nicht, dass irgendwo in Lublin, Poznań oder Kraków, ihre wahren Mütter und Väter auf sie warten. In Warschau wartete indes niemand. Die Stadt wurde im Jahre 1944 mit äußerster Brutalität und Konsequenz dem Erdboden gleichgemacht.

Keines der Opfer des Kinderraubs wurde je entschädigt. Keine polnische Stadt wurde mit Hilfe deutscher Reparationszahlungen wieder aufgebaut.

Versöhnung

All das und noch vieles mehr, was die deutsche Besatzungszeit in Polen für Millionen von Menschen mit sich brachte, ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Sie ist leidig und wichtig – für viele Polen geradezu essentiell – und tatsächlich wünsche ich mir manchmal, sie würde mehr in das Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit rücken. Aber jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten und man bekommt keinen Gesamteindruck des deutsch-polnischen Miteinander(!), ohne auch die andere Facette in die Bewertung mit einzubeziehen.

Die andere Seite setzt dort an, wo die erste nach sechs blutigen Jahren des Krieges aufgehört hat. Sie begann endgültig in den 1960ern mit dem Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Pendants, der mit den Worten „wir vergeben und bitten um Vergebung“ die kommunistischen Machthaber des Landes in Aufruhr versetzte. Sie wurde von Willi Brandt in den 1970ern fortgeführt, dessen Kniefall in Warschau (unabhängig davon wem er denn galt) und die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, die konservative Opposition im deutschen Bundestag entsetzte. Dank dieser sowie vieler weiteren Gesten, stehen die deutsch-polnischen Beziehungen seit nunmehr 30 Jahren in voller Blühte. Sie wurden nach der Wende geradezu entfesselt und erreichten eine Tiefe und Breite, die 1945 undenkbar schienen. Und in manchen Kreisen als unerwünscht galten.

Verleumdung

Wenn man nun aber die Früchte dieser Arbeit von Tausenden Menschen, Einrichtungen und Stiftungen in Frage stellt, dieses dichte Geflecht an formellen und informellen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontakten für nichtig oder für „Versöhnungskitsch“ erklärt – und nichts anderes tut die polnische Regierungspartei PIS derweil – dann muss doch die Frage erlaubt sein, worum es denn eigentlich geht. Die polnische Regierung, die sich mitunter einer beispiellosen antideutschen Rhetorik bedient und die Bundesrepublik unverblümt zum Feindbild erklärt, beteuert, die Kriegsreparationen würden die „echte“, aufrichtige Versöhnung zwischen Deutschland und Polen einleiten. Die konsequent betriebene Herabwürdigung und Verleumdung Deutschlands, welche die Entschädigungsdebatte in Polen begleiten, lässt mich an dieser Intention stark zweifeln. Und erinnert unwillkürlich an Goethes Zauberlehrling.

Es ist unsinnig und abträglich im Namen der leidigen, sehr schmerzhaften und sicher nicht restlos aufgearbeiteten Vergangenheit die gemeinsame Gegenwart und die verheißungsvolle Zukunft aufs Spiel zu setzen. Beide Seiten sollten dies im Auge behalten, erst recht wenn sie „echte Versöhnung“ als ihr Ziel deklarieren.

Aufruf

Aus diesem Grunde ein kleiner Appell an die politischen Entscheidungsträger in Warschau und Berlin zum Abschluss:

Liebe polnische Regierung: Wir schreiben nicht mehr das Jahr 1945 und erst recht nicht 1939. Der Zweite Weltkrieg ist vorbei. Es ist an der Zeit die Schützengräben zu verlassen.

Liebe deutsche Ampel: Kein Leid verschwindet, indem man es einseitig für „abgeschlossen“ erklärt. Auch dann nicht, wenn Josef Stalin das 1953 so beschlossen hat.

Menschlichkeit und Gerechtigkeit verjähren nicht. Das gilt für Namibia. Warum denn nicht auch für Polen?

Bogumil Palka

Bogumil ist in Polen geboren und seit seinem 14. Lebensjahr in Deutschland zu Hause. Er studierte Pädagogik in Bielefeld und Stockholm und "Polen und Deutsche in Europa" (kurz EuPoD) in Kiel und Posen. Bogumil absolvierte zahlreiche Praktika im deutsch-polnischen Kontext, darunter am Deutschen-Polen Institut in Darmstadt und dem Polnischen Generalkonsulat in Hamburg. Er war Teilnehmer und Veranstalter verschiedener Begegnungen, Projekte und Tagungen und ist freiberuflicher Sprachmittler und Teamer.

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  • Ein einfühlsamer Kommentar, dessen abruptes Ende enttäuscht: Zwar „verjähren Menschlichkeit und Gerechtigkeit“ nie, finanzielle Ausgleichsansprüche sind jedoch endlich. Genau so, wie eine deutsche Wiederbesiedlung von Danzig, Posen oder Allenstein niemals mehr in Betracht kommt.

    • Lieber Christian,

      auch Ihnen möchte ich für Ihre Rückmeldung danken. Und mich zugleich für das enttäuschende Ende entschuldigen.
      Ich glaube, oder möchte es tun, dass es vielen Polinnen und Polen, die sich für die Kriegsreparationen aussprechen, nicht unbedingt um das monetäre geht. Vielmehr wollen sie mit ihrer Haltung das wachsende Bewusstsein der bundesrepublikanischen Gesellschaft für die millionenfache Ermordung und Versklavung von polnischen Bürgern während des Zweiten Weltkrieges fördern und fordern. Dafür spreche meines Erachtens unter anderem die Diskussion um ein Polendenkmal in Berlin, welches an die polnischen Opfer der deutschen Okkupation des Landes erinnern soll.
      Die Frage nach dem Schicksal der deutschen Bevölkerung nach 1945, auf die Sie anzuspielen scheinen, könnte im Idealfall ein Teil der Neuauflage dieser Diskussion um das Kriegsleiden beider Länder werden. Aus Respekt vor den Opfern und ihren Hinterbliebenen, sollten wir allerdings tunlichst vermeiden, einen Wettbewerb daraus zu stricken. Es geht nicht darum zu feilschen, wer denn mehr gelitten habe und welche Ansprüche berichtigter seien. Eine solche Auseinandersetzung würde keine Lösungen herbeiführen und erst recht keine Versöhnung. Sie würde lediglich eine weitere Eskalation provozieren. Richtig geführt aber, könnte sie in der Tat eine gewisse Katharsis mit sich bringen. Darunter auch für die polnische Seite.

      Beste Grüße
      Bogumil

      P.S. Lieber Christian, die deutsche Besiedlung von Danzig, Posen und Allenstein, weist eine derart unterschiedliche Charakteristik auf, dass man sie wirklich nicht in einen Topf werfen sollte. Insbesondere Posen fällt hier meines Erachtens komplett aus dem Raster. Die Stadt - Ruhestätte polnischer Herrscher und die historische Wiege des Landes - kam erst im Zuge der widerrechtlichen polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts an Preußen. Trotz rigider Germanisierung, die sich unter anderem gegen Kinder richtete (Kinderstreik in Września), blieb sie mitsamt der gesamten Region mehrheitlich polnischsprachig. Ich wüsste beim besten Willen nicht, was es in diesem Fall noch zu bereden gäbe.

  • Diesem Aufruf möchte ich mich anschließen!
    Bei meinen Reisen mit dem Fahrrad in Polen sind mir nur freundliche, zugewandte, liebvolle, warmherzige Menschen begegnet! Man kann es fast nicht fassen, dass nach dem Leid, Tod und Schrecken, das die Nazis zu unseren Nachbarn gebracht haben, sowas möglich ist. Ich habe eine ältere Polin kennengelernt, die als Kind beobachten musste, wie ihr Vater von deutschen Soldaten abgeholt wurde - und ward niemehr gesehen ... Sie wollte niemehr Deutsche sehen. Nach ein paar Tagen Aufenthalt gabe es im Kreis der Familie in ihrer Datscha ein großes Fest und wir haben auf die deutsch-polnische Freundschaft angestoßen! Das sind unvergessliche Erlebnisse!
    Das "Getöse" der PIS Partei und die "Abschluss" Äußerungen der Ampel-Regierung vergehen. ABER die Menschlichkeit und gegenseite Achtung wird alles überdauern!

    • Lieber Richard,

      vielen Dank für Ihr Feedback. In der Tat teilen viele, die Polen bereisen, Ihre Eindrücke und Erfahrungen - so auch meine Wenigkeit. Die Mehrheit der Polen ist nach wie vor sehr freundlich den Deutschen gegenüber eingestellt. Das ist das große Verdienst der Versöhnung, die bereits vor vielen Jahrzehnten eingeleitet wurde. Nichtsdestotrotz gibt es eine Tendenz, welche belegt, dass die antideutsche Stimmung, die seitens der polnischen Regierungspartei heraufbeschworen wird, durchaus Früchte trägt. Davon zeugt u.a. das jährliche "Deutsch-polnische Barometer", das die Nachbarschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern misst. Die Zahl jener Polen, die hauptsächlich an den Zweiten Weltkrieg denken wenn sie Deutschland meinen, steigt. 2020 lag sie bei 30 Prozent, gegenüber 21 Prozent im Jahr 2016. Im Umkehrschluss heißt es aber, dass 70 Prozent der Polinnen und Polen, also die überwältigende Mehrheit, andere Assoziationen mit Deutschland verbindet. So hätten 80 Prozent unserer Nachbarn beispielsweise nichts gegen einen deutschen Chef einzuwenden. Diese Zahl legt nahe, dass auch diejenigen, die Deutschland vornehmlich mit dem Krieg in Verbindung setzen, nicht unbedingt grundsätzlich deutschlandfeindlich sind. Hier geht es wohl (auch) um andere Beweggründe. Und auf ebendiese habe ich versucht in meinem Beitrag hinzuweisen.

      Viele Grüße
      Bogumil

      P.S. Parteien und Regierungen kommen und gehen. Menschlichkeit und gegenseitige Achtung bleiben. Dieser Gedanke gefällt mir außerordentlich. Ich nehme ihn gerne aus unserem Gedankenaustausch mit!

  • Hallo Bogumil,
    ich habe mich gefreut, auf Ihren Artikel zu stoßen. Ich finde es schön, dass wir von verschiedener Seite her ( ich als "Vertriebener" aus Breslau) zu ähnlichen Schlussfolgerungen zum Verhältnis von Polen und Deutschen kommen.
    Ich habe auch gleich in einem Blog, in dem ich meine Geschichte als "Flüchtlingskind" erzähle, ein Zitat von Ihnen eingefügt (am Schluss). Link siehe unten.
    Herzlich
    Wolfram Janzen (lobo-w-j)

    • Hallo Herr Janzen,

      vielen Dank für Ihre Meldung.
      Wissen Sie, ich habe das wachsende Gefühl, dass Menschen, die Ihre und meine Sicht teilen, langsam aber sicher die Oberhand gewinnen. Klar, es gibt Politiker*innen in Polen (und in Deutschland, hier aber eher auf dem Abstellgleis), die die natürliche Versöhnung und Freundschaft zwischen Deutschen und Polen aufhalten oder zumindest ausbremsen wollen. Sie tun es im Rahmen ihrer Kirchturmpolitik, die dem Machterhalt dienen soll. Dieser kurzsichtige Partikularismus scheint aber an Zauber und Wirkung zu verlieren. Die meisten Polinnen und Polen verstehen sehr wohl, dass ihre Präsenz und ihr Standing in Europa über Deutschland und mit Deutschland geht. Umgekehrt lernen die Deutschen gerade Polen allmählich als ein "Kernland Europas" zu akzeptieren und als Partner auf Augenhöhe zu betrachten, was nicht nur das polnische Ego streichelt, sondern auch neue Wege zur Vertiefung der Zusammenarbeit öffnet. Und dies ist das auschlaggebende - die zukunftsgerichtete Zusammenarbeit, die heute schon 130 Milliarden Euro beiden Ländern einbringt. Und wer sich eher an der Geschichte orientieren will um darin den Grund für das deutsch-polnische Miteinander zu finden, dem sei gesagt, dass die deutsch-polnische Grenze vom 13. bis ins 18. Jahrhundert die einzige in Europa war, die nicht von Kriegen gekennzeichnet wurde.

      Viele Grüße und danke für den Hinweis auf ihren Blog.
      Bogumil

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