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Deutsch-Polnische Beziehungen: Isn’t it ironic, don’t you think?

Als ich kürzlich Alanis Morissette im Autoradio hörte, kam mir das gegenwärtige deutsch-polnische Verhältnis in den Sinn. Die Handelsbeziehungen blühen. Die Ressentiments auch.

Ist das nicht ironisch?

“It’s the economy, stupid!”

Das deutsch-polnische Handelsvolumen wächst allen Krisen und Pandemien zu trotz und stellt praktisch jedes Jahr aufs Neue einen beeindruckenden Rekord auf. 2020 bewegte sich der Wirtschaftsaustausch auf dem Vorjahreswert und erreichte erneut satte 120 Milliarden Euro. Eine wahrlich beachtliche Leistung, wenn man die Umstände bedenkt.

Polen und Deutschland sind ganz offenbar eine ökonomische Symbiose eingegangen und profitieren gleichermaßen enorm davon. Millionen von sicheren Arbeitsplätzen und ein tosender Fluss von Steuergeldern sind die handfeste Verkörperung dessen.

Make love, not war

Nicht nur wirtschaftlich sind die beiden Länder zusammengewachsen. Unzählige formelle und informelle Partnerschaften sind seit dem annus mirabilis 1989 entstanden. Es gibt kaum eine Familie, kaum einen Ort in Deutschland und insbesondere in Polen, die nicht in irgendeiner Weise mit dem Nachbarland verflochten wären. Ein dichtes, pulsierendes Netz aus Beziehungen auf Makro-, Meso- und Mikroebene umspannt die beiden Länder und lässt keine Zweifel daran aufkommen, dass es nur noch vorwärts, einer verheißungsvollen Zukunft entgegen gehen kann, in der die Früchte der langen, fruchtbaren Zusammenarbeit nur noch geerntet werden müssen.

So einfach ist das nicht

Aber wenn es so gut läuft, warum läuft es dann so schlecht?

Während auf beiden Seiten der Oder dank der wirtschaftlichen Kooperation blühende Landschaften entstehen, blühen in Polen gleichermaßen die antideutschen Ressentiments auf. Ihre neuesten Auswüchse konnte man bei den Feierlichkeiten zum polnischen Unabhängigkeitstag am 11.11. sehen. Die polnischen Nationalisten („Narodowcy“), die unter der Schirmherrschaft des Staates den alljährlichen „Unabhängigkeitsmarsch“ organisieren, bewarben ihn mit einem Plakat auf Deutsch. Natürlich aus dem Jahre 1939, als die deutsche Besatzungsmacht jegliche Feierlichkeiten an diesem Tag in Warschau unter rigorosen Strafen stellten. Grund für dieses Plakat war der vorausgegangene Streit um die Legalität des Marsches. Der Warschauer Oberbürgermeister und Oppositionelle Rafał Trzaskowski {rafau tschaskowski} verbot ihn kurzerhand, als die Veranstalter es versäumt hatten, ihn ordnungsgemäß anzumelden. Die Zentralregierung Polens, vertreten durch den Wojewoden von Masowien, erklärte das Verbot für nichtig. Trzaskowski zog also vors Gericht und bekam Recht. In zwei Instanzen. Daraufhin wurde der Marsch von der Zentralregierung als „staatlich anerkannt“ eingestuft und konnte trotz der Verbote und Gerichtsurteile doch noch durch die Straßen der polnischen Hauptstadt ziehen.

Die auf diese Weise aus dem Streit als Sieger hervorgegangenen Nationalisten „bedankten“ sich bei dem aus ihrer Sicht ohnehin unliebsamen Oberbürgermeister und unterschrieben das besagte Plakat mit „Tschaskosky“. Einer Anlehnung an die vermeintliche deutsche Schreibweise des Namens des Oberbürgermeisters. Denn als Deutscher oder deutschfreundlich hingestellt zu werden gilt in gewissen Kreisen in Polen ohnehin als Beleidigung. Und das nicht erst seit den Ereignissen in Warschau, wo am 11.11. unter anderem die bundesrepublikanische Flagge verbrannt wurde.

„Für Deutschland“

Seit Donald Tusk, der ehemalige, liberalkonservative Premierminister Polens, aus Brüssel in die Politik seines Landes zurückgekehrt ist, ist er zur Zielscheibe für Angriffe seitens der staatlichen polnischen Medien geworden. Seine Wortgefechte mit den Reportern des staatlichen TVP Info sorgen seitdem für Aufsehen. Zum breiten Repertoire mehr oder minder einfallsreicher Beleidigungen und Verleumdungen, mit denen man Tusk zu diskreditieren versucht, gehörte wochenlang ein bestimmter Redeausschnitt. In diesem bedankt sich Tusk, damals noch Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, auf Deutsch bei den deutschen Christdemokraten für ihr Engagement für Europa.

Die aus dem Kontext gerissene Floskel „für Deutschland“, welche in dieser Rede fällt, wurde mindestens 97 Mal im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt. Und wir sprechen hier hauptsächlich von den Nachrichten in der Primetime.

Eine haarige Angelegenheit

Politische Debatten werden in Polen häufig sehr hitzig geführt und nehmen selten Abstand von Emotionen. Auf beiden Seiten des politischen Lagers gibt es in unserem Nachbarland Persönlichkeiten, die sich bisweilen verbale Entgleisungen erlauben. So auch der ehemalige polnische Außenminister Radosław {radosuaw} Sikorski, der via Twitter seine Widersacherin Beata Kempa (und ihre Haare) grob beleidigte. Diese reagierte sehr betroffen und brach in einem Fernsehinterview in Tränen aus. Sikorski entschuldigte sich daraufhin, verlangte aber im Gegenzug die Entschuldigung dafür, dass Kempa ihn als einen „Deutschen“ bezeichnet habe, der einen kranken Hass auf Polen hegt.

Bei dem Aufsehen, welches dieser Fall in der polnischen Öffentlichkeit erregte, wurde alles Mögliche diskutiert und angeprangert. Alles – bis auf die Tatsache, dass die Herkunftsbezeichnung „Deutscher“ im politischen Diskurs inzwischen wohl zu einer Beleidigung herabgestuft wurde. Das scheint überspitz zu klingen, ruht aber auf diversen Aussagen vieler polnischer (regierungsnaher-)Politiker, die Deutschland zu unterschiedlichen Anlässen längst zu einem Gegner erklärt haben. Ich möchte keine dieser Aussagen an dieser Stelle anführen, verweise aber alle polnischsprachigen Interessierten unter anderem hierauf.  Die von OKO.press vorgenommene Auflistung endet im Jahre 2017. Seitdem sind leider viele weitere Ausuferungen hinzugekommen. Einige von ihnen konnten Sie bereits in diesem Beitrag nachlesen.

Deutschlands Verantwortung

Die deutsch-polnischen Relationen bleiben also sehr wechselvoll und dynamisch. Eine Konstante gibt es aber dennoch. Und zwar die Geschichte beider Staaten, die immer eine gewichtige Rolle im deutsch-polnischen Verhältnis zu spielen scheint. Trauriger-, wenn auch erklärlicherweise werden die mehr als 1.000 Jahre gemeinsamer Historie insbesondere in Polen vom 20. Jahrhundert überschattet. Auch auf deutscher Seite gibt es Persönlichkeiten, welche glauben, die Ursachen für die gegenwärtige politische Lage in Polen im Zweiten Weltkrieg und den deutschen Verbrechen gefunden zu haben. Konrad Schuller schrieb für die FAS im August in seinem Beitrag „Die Wurzel von Kaczyńskis Nationalismus“: „Dieses Land (Polen) wäre heute anders, wenn das unsere (Deutschland) vor drei Generationen anders gewesen wäre“ (Zitat übersetzt von B.P. nach DW vom 15.08.).

Ich lasse Sie mit dieser Aussage kurz allein.

Fazit

Der Spruch “It’s the economy, stupid!” soll Bill Clinton 1992 den unverhofften Sieg bei den Präsidentschaftswahlen eingebracht haben.

Die deutsch-polnischen Beziehungen scheinen allerdings gegen den ökonomischen Einfluss resistent zu sein. So als ob sie sich nichts von den florierenden Wirtschaftsbeziehungen kaufen könnten – obwohl sie es eigentlich doch tun.

Isn’t it ironic, don’t you think?

 

Bogumil Palka

Bogumil ist in Polen geboren und seit seinem 14. Lebensjahr in Deutschland zu Hause. Er studierte Pädagogik in Bielefeld und Stockholm und "Polen und Deutsche in Europa" (kurz EuPoD) in Kiel und Posen. Bogumil absolvierte zahlreiche Praktika im deutsch-polnischen Kontext, darunter am Deutschen-Polen Institut in Darmstadt und dem Polnischen Generalkonsulat in Hamburg. Er war Teilnehmer und Veranstalter verschiedener Begegnungen, Projekte und Tagungen und ist freiberuflicher Sprachmittler und Teamer.

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  • Das meine Schulkameraden nach dem Umbruch in Polen, nach Deutschland gegangen sind um hier zu Arbeit,
    war für viele in Polen ein Nasenrümpfen wert.
    Das aber viele Kommunisten vor dem Umbruch längst in West-Deutschland waren um “Dollarie“ zu verdienen, hat keinen Gestört.
    Oder das von meinen polnischen Freunden nur die nach Deutschland kommen durften, deren Eltern auch richtige Kommunisten waren hat man vergessen.
    Als dann meine Freunde nach der Wende, nach Deutschland kamen um zu arbeiten, haben viele Kommunisten aus Polen es ihnen erschwert einen guten Job in Deutschland zu bekommen. Das hat man auch vergessen.
    Das man heute am Haus meines Schulkameraden, der aus Deutschland eine kleine Rente erarbeitet hat, ab und zumal,
    wenn man genug Gasovka getrunken hat, ein Hackenkreuz aufs Haus malt. Bemerkt man nicht.
    Das es den Kommunisten die herumgeprahlten hatten, den Arbeitern in Danzig mit dem Knüppel richtig in die Beine Geschlagen zu haben, heute sehr gut in Polen leben, will man auch gerne vergessen.
    Denn diese Leute Kommunisten haben sich nach der Wende in Polen richtig bereichert, dass habe ich bei vielen kommunistischen Bekannten, Mitbekommen.
    Und natürlich haben sie dann die ärmeren Polen richtig über den Tisch gezogen. Auch alles vergessen!
    Die redlichen Polen, die auch keine Kommunisten waren, geht es heute auch immer noch nicht so richtig hervorragend.
    Wenn meine Eltern über Polen reden, Masuren, gab es da auch zwischen den Deutschen und Polen Reibereien, aber man engagierte sich,
    aber es soll auch nicht vergessen werden, was die Deutschen den Polen angetan haben.
    Die Deutschstämmigen in Polen haben aber immer gut gelebt, weil sie sich gegenseitig geholfen haben, auch über Glaubensrichtungen hinweg.
    Denn Masuren waren fasst alle evangelisch und die Schlesier waren Katholiken.
    Ich bin nach dem meine Eltern mich aus Polen nach Köln mitgenommen hatten, immer im Herzen in Masuren geblieben,
    sonnst wäre ich nicht jedes Jahr nach Polen gefahren.
    Eines hat sich aber vom Kommunismus ins neue Polen ohne Verluste gerettet, die Macht der Kirche, ob da so der richtig ist?
    Meine Hoffnung sind die jungen Polen. Aber manchmal habe ich das Gefühl, die sind alle in Köln und arbeiten bei Ford.
    So, das sind einige Erfahrungen die ich in den letzten 40 Jahren im Verhältnis Polen und Deutschland bemerkt habe.
    Ich war seit 1976 unzählige Mal in Polen.
    Erstes mal war ich in Polen, Masuren als ich 18 Jahre war, für meine Eltern war es ein Greul, wir waren gerade 6 Jahre aus Polen ausgereist.
    Zum Glück sind wir nach Köln ausgesiedelt worden, und ich hatte auf einmal zwei Heimatorte.
    Ja, Heimat ist Heimat.

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