Polnische Ausnahmesportler*innen

Während ich diesen Text schreibe, gewinnt die Tennisspielerin Iga Świątek {iega schwiontek} zum zweiten Mal die French Open. Es ist ihr 6 Turniertriumph und der 35. Matchsieg in Folge. Ihren Erfolg in Paris verfolgte übrigens Robert Lewandowski, der zu den ersten Gratulanten der 21-Jährigen gehörte.

Alles in allem ein schönes Bild. Und ein überaus willkommener Anlass um über die polnischen Ausnahmesportler*innen ein paar Wörtchen zu verlieren – finden Sie nicht auch?

Adam Małysz

Wir gehen zurück in das Jahr 2001. Die Musik von Savage Garden liegt in der Luft (ich gebe zu, ich bin ein Softie), SMS sind der Hit und das Internet ist ein teurer und langsamer Luxus. In der Cafeteria des Ceciliengymnasiums in Bielefeld tummeln sich ein paar Gestalten um einen 10 cm-großen LCD-Bildschirm. Es ist der Bildschirm meines Handheld-Fernsehers, den ich zu Anlässen wie diesen zur Schule mitbrachte. Bei den Gestalten handelt es sich um Skisprungfans, die mit mir die Schulbank drücken und gelegentlich die sogenannten Freistunden, die sich immer wieder mal zwischen den Unterrichtseinheiten ergeben, abbummeln.

Es herrschst Stille, Spannung liegt in der Luft und entlädt sich schließlich in einem lauten Jubelschrei. Meinen Jubelschrei! Der bis dato eher unscheinbare Pole Adam Małysz {mauisch} siegte nämlich im großen Stil auf der Bergiselschanze im Rahmen der Vierschanzentournee im österreichischen Innsbruck. Der Sieg kam überraschend, markierte aber den Auftakt zu einer langen, maßstabsetzenden Kariere, die bis heute unvergessen bleibt. In Polen wurde sie von der sogenannten „Małyszomanie“ begleitet, die einerseits einen eigenen Eintrag in der Wikipedia vorweist. Andererseits fegte sie, wenn der Meister zum Sprung ansetzte, ähnlich die Straßen leer, wie der Platzregen (sorry, ist eine blöde Analogie, aber bei mir regnet es gerade wie aus Kübeln).

Doch auch in Deutschland wurde der Werdegang des Polen mit großem Interesse und Anerkennung verfolgt, wie folgende Abschweifung belegt.

Wo man so steht

Wenn man Anfang der Nullerjahre als Teenie in Bielefeld lebte und die fliegenden Männer live erleben wollte, hatte man im Grunde nur die Möglichkeit, in das vergleichsweise benachbarte und halbwegs gut erreichbare hessische Willingen zu reisen. Dabei ergab sich allerdings ein gravierendes Problem, und zwar das Internet, über das man die Tickets bestellen musste (habe ich erwähnt, dass das Internet teuer und langsam war?). Doch für jedes Problem gibt es meist eine Lösung. In meinem Fall lautete die Lösung Juliane. Juliane war in meinem Deutschkurs, gehörte für gewöhnlich zu jenen, die sich um meinen Kleinfernseher tummelten und was noch wichtiger war –  sie hatte einen Internetzugang daheim! In Kombination mit ihren Eigenschaften wie Nettigkeit und Zuvorkommenheit, erwies sie sich für mich fortan als eine zuverlässige Quelle für Skisprungtickets.

Nachdem ich das erste Mal aus Willingen zurückkam und ihr in der Schule tags darauf berichtete, wo ich denn genau gestanden habe (die Stehplätze waren ja nicht numeriert), bediente ich mich eines Vergleichs. Ich meinte, ich sei dort gewesen, wo die Skispringer gelandet seien. Was Juliane darauf erwiderte zeigt, welch ein Ausnahmespringer Adam Małysz auch für die Deutschen war. Denn bis heute höre ich Juliane antworten: „Und ich war dort, wo Adam gelandet ist.“

Małysz kam damals auf über 150 Meter. Und das in einer Zeit, wo die meisten Sprünge in Willingen zwischen 130 und 140 rangierten. Das war geradezu kosmisch. Und eben allseits unvergessen.

Und die anderen

So unübertroffen Adam Małysz auch war, ist er natürlich nicht der einzige Ausnahmesportler aus Polen. In der Tat gibt es gerade in der heutigen Zeit einige davon. Da wäre zum Beispiel Kamil Stoch – das ist in etwa Adam Małysz der Gegenwart. Und wenn wir schon thematisch beim Wintersport bleiben wollen, dann winkt selbstredend Justyna Kowalczyk {justina kowaltschik} mit ihren zahlreichen Medaillen. Sie ist zwar wie Małysz nicht mehr aktiv. Ihre Rivalität mit der Norwegerin Marit Bjørgen konnte aber selbst meine wintersportuninteressierte Frau kurzzeitig für den Skilanglauf begeistern.

Über den nächsten Ausnahmesportler brauche ich mich wohl nicht auszulassen. Wessen Trikots in den abgelegensten Winkel der Welt getragen werden (ich habe mal eins auf Mauritius erblickt), der braucht nun wirklich keinen Steckbrief. Robert Lewandowski, von dem natürlich die Rede ist, ist bereits zu seiner Lebzeiten zu einer Legende geworden. Ich freue mich, dass Deutschland einen derart großen Anteil daran hatte, dass die spanische Sportzeitung „Marca“ Lewy unlängst als einen Deutschen bezeichnet hat. Und ich hoffe inständig, dass der Trubel um seinen Transfer nach Spanien (oder doch England?) ihn hierzulande nicht in Verruf bringen wird. Das wäre seiner beispiellosen Kariere schlicht unwürdig.

Übrigens, liebe deutsche Fans, nennt den Mann bitte nicht „Lewa“, auch wenn ihr ihm mitunter böse seid. Bleibt bei dem polnischen Spitznamen (Kürzel) „Lewy“. Alles was im Polnischen auf „a“ endet, ist nämlich weiblich. Und ich finde, das klingt in diesem Fall ungewollt komisch und deplatziert.

Erfolgshunger

Die polnische Öffentlichkeit durstet es nach Erfolg. Vorzugsweise im Massensport, der dem neuen Selbstbewusstsein der  Polinnen und Polen gerecht werden würde. Und wenn es da nicht klappt, dann stürzt man sich eben auf das, was einem vorliegt. So sah Polen in den letzten Jahren große Begeisterungswellen, die wahlweise für Volleyball, Handball, Tennis und/oder Fußball aufkeimten – je nachdem wo die Repräsentanten des Landes gerade Erfolge erzielten – um kurz darauf, wenn die Erfolge abflauten, ebenfalls zu entschwinden. Das tut den Leistungen solcher Virtuosen wie Małysz, Lewandowski oder Świątek natürlich keinen Abbruch. Weiß Gott nicht. Zeigt aber, wie groß der Erfolgshunger in der polnischen Öffentlichkeit ist. Ich bin mir sicher, dass der Wunsch nach Anerkennung, Respekt und Geltung viele Polinnen und Polen dazu brächte, ihr Herz an die Curling-Nationalmannschaft zu verschenken, wenn diese entsprechende Resultate vorweisen würde.

Aber danach sieht es derzeit nicht aus. Jedenfalls nicht, solange von der Weichsel immer wieder mal Athleten kommen, die in den beliebtesten Sportarten, die Massen begeistern, Weltgeschichte schreiben.