Krieg und schönes Wetter

Vom Krieg, Kriegsmüdigkeit, Pazfismus und schönem Wetter. Eine Glosse.

Deutschland

Warum liefert Deutschland keine schweren Waffen an die Ukraine? Das war die Frage der letzten Wochen. Die Antwort darauf variierte öfter als das Aprilwetter.

Zum Schluss blickten der Bundeskanzler und seine Verteidigungsministerin wohl selbst nicht mehr durch und beugten sich dem innen- und außenpolitischen Druck.

Übrigens: Das einzig logische Argument gegen eine Waffenlieferung an Kiew, nämlich die Befürchtung, man würde dem Land mit der Unmenge an unterschiedlichem und inkompatiblem Kriegsgerät mehr schaden als nutzen, konnten weder Olaf Scholz noch Christine Lambrecht ins Feld führen. Es würde ja einem der vorherigen vorgeschobenen Argumente widersprechen, nachdem Deutschland keine Alleingänge riskieren sollte. Denn wenn sonst keiner liefert, woher dann der drohende Wirrwarr?

Man liefert jetzt also Panzer. Die sind zwar, gelinde ausgedrückt, nicht mehr taufrisch und auch ohne Munition. Ein Fortschritt ist es aber dennoch.

Polen

Polen hatte und hat indessen keinerlei Bedenken. An der Weichsel, ähnlich wie hierzulande, sieht man in dem Ukraine-Krieg einen Feldzug gegen die europäischen Werte und demokratische Normen.

Der Unterschied zu Deutschland ist aber der, dass man es in Polen wirklich meint und seiner Meinung auch Taten folgen lässt. Das bleibt nicht unbemerkt. Sowohl seitens des Westens, als auch auf Seiten Russlands. Die Briten beispielsweise bescheinigen Polen neuerdings eine Führungsrolle in Europa. Deutschland, das man lange um Federführung gebeten hatte, habe demnach versagt. Auch Frankreich hätte wenig Entschlossenheit gezeigt. Selbst die britische Regierung, die objektiv betrachtet sehr viel tut, könnte von Polen in Sachen Haltung und Format einiges dazu lernen. So jedenfalls neulich der Daily Telegraph. Die Welt schreibt ebenfalls vom neuen polnischen Standing in Europa.

Tja, die Natur duldet nun mal kein Vakuum. Mitteleuropa braucht in DIESEN Zeiten einen Leader. Und da Deutschland nicht will oder kann… Aber lassen wir das. In Polen sagt man, dass man einen Mann der am Boden liegt nicht treten sollte. Die deutsche Version dieses Spruchs – die mit dem toten Hund – wäre mir an dieser Stelle dann doch zu abschätzig und despektierlich. Die Bundesrepublik ist zwar kein Leader, aber wenigstens kein Bremser mehr. Sie lässt sich zwar nach wie vor treiben, aber doch wenigstens in die richtige Richtung. Kurzum: Hoch die Tassen!

Polen liefert jedenfalls ab sofort über zweihundert modifizierte Panzer des Typs T-72 an die Ukraine. Die Modifizierungen sing gerade geringfügig genung, um den ukrainischen Soldaten die Handhabe der Kampffahrzeuge nicht zu erschweren. Zudem wäre Warschau bereit,  70 Maschinen der Mig-29-Flieger abzugeben, aber dazu ist die Zeit wohl noch nicht reif. Die polnischen Streitkräfte werden nicht wirklich unter dem Abzug besagter Einheiten leiden. Sie gehören schließlich zu den stärksten des Kontinents. Es gibt Stimmen (ausländischer Herkunft wohlgemerkt), die sie sogar direkt auf Platz eins sehen. Noch vor Frankreich. Jedenfalls im Hinblick auf konventionelle Waffen. Atomwaffen besitzt Polen schließlich keine.

Russland

Russland fällt Polens neue Rolle natürlich ebenfalls auf. Die Rechnung dafür erfolgt tagtäglich über Social Media. Also jene, die es noch in Russland gibt. Der ehemalige russische Präsident Dimitrij Medwedew liegt dabei ganz vorn, wenn es darum geht Polen anzugreifen. Verbal.

Doch auch die Russen schreiten langsam zur Tat und werden ganz konkret. Zum Beispiel bei den Gaslieferungen. Beziehungsweise bei deren Ausbleiben. Gestern gesellte sich auch der russische Geheimdienst hinzu und trug ein paar Misstöne zu der üblichen Kakofonie des Kremls bei. Polen plane die Annexion seiner historischen Gebiete im Westen der Ukraine. Die entsprechenden Gespräche würden bereits in Washington laufen… In der Psychologie bezeichnet man so etwas als Projektion. Das tritt immer dann auf, wenn man seine eigenen Vergehen und Fehler den anderen zuschreibt.

Ukraine

Wie reagiert die Ukraine auf all das?

Präsident Selsnkyj hat heute eine Konferenz für die polnischen Medien gegeben. Er sprach darin von Polen als einem warm(herzigen), freundlichen und familiären Land. Polen sei engster Verbündeter der Ukraine, der unter anderem alles dafür tut, den geflüchteten Ukrainer*innen eine zweite Heimat zu bieten. Doch ungeachtet dessen wie gut es seinen Landsleuten in Polen nun gehe, ruft Selenskyj sie dazu auf, nach dem Krieg “nach Hause zu kommen”.

Jetzt sei jedem in der Ukraine klar geworden, wer ein Feind ist und wer ein Freund. Die Ukraine will mit Polen eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Die ersten Wirtschaftsverträge sind bereits unterzeichnet.

Überdies telefoniere Selenskyj jeden Tag mit dem polnischen Präsidenten Andrzej {andschej} Duda. Und das vom ersten Tag des Krieges an. Mit Orban hingegen habe er seit Beginn der Invasion kein Wort mehr gewechselt. Die russischen Fake News, nach denen Polen die Annexion seiner historischen Gebiete plane, empfinde er als genauso gefährlich wie die russischen Raketen. Doch genauso wie diese,würden auch die Fakes ihre Wirkung verfehlen.

Die Pazifisten

Trümmerlandschaft nach einem Raketenangriff in Lemberg.
Trümmerlandschaft nach einem Raketenangriff in Lemberg.

Alice Schwarzer ist zweifelsohne eine Ikone der deutschen Kultur. Ihr vielfältiger Einfluss war einst so groß, dass es heute komisch klingt von „deutscher Kultur“ zu sprechen. Ich schätze ihren Beitrag zum heutigen Deutschland sehr. Dieses Land wäre ohne sie sicher ein anderes.

Umso mehr bin ich enttäuscht über ihren offenen Brief an Olaf Scholz, den Tausende von Bundesbürgern inzwischen unterzeichnet haben. Ihr Ausgangspunkt –  Frieden in der Ukraine – ist richtig. Aber der Weg dahin – keine Waffen für Kiew – geradezu tödlich. Spätestens nach den Kriegsverbrechen in Butscha müsste klar sein, dass die Waffenniederlegung keine Menschenleben rettet. Jedenfalls keine ukrainischen Leben. Die Menschen in Butscha wurden umgebracht nicht weil sie bewaffnet, sondern weil sie WEHRLOS waren. Wer das nicht einsieht, der soll auch im Gegenzug keine Einsicht erwarten.

Das Wochenende

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Krieg mittlerweile zu einem Thema wie jedes andere geworden ist. Ich denke noch darüber nach, was das über uns sagt. Sind wir oberflächlich, egoistisch und schnell gelangweilt? Oder wollen wir einfach mal durchatmen, auch um Kraft für die kommenden Kriegsmonate zu sammeln? Ein Bogen, der ständig überspannt wird, bricht schließlich…

Sind wir schlicht des Krieges müde?

Schon oder erst?

Und während ich so darüber nachdenke, frage ich mich willkürlich ob Sie schon wussten, dass Boris Becker für zweieinhalb Jahre ins britische Gefängnis muss?

Morgen soll es übrigens schönes Wetter geben. Also hier in Hessen.

Bei Ihnen auch?