Susanne Fritz liest aus ihrem Roman „Wie kommt der Krieg ins Kind?(2018)

Datum/Zeit
Date(s) - 04/12/2018
19:00 - 21:00

Veranstaltungsort
Haus des Deutschen Ostens

Kategorien


Wir schreiben das Jahr 1945. Ein vierzehnjähriges Mädchen kommt in ein Arbeitslager, aufgegriffen von der Roten Armee auf seiner Flucht aus Pommern. Die neue polnische Regierung hat es für „Volksdeutsche“ eingerichtet, die noch im Land verblieben sind oder festgehalten wurden. Für die Einweisung der jungen Romanprotagonistin ins Lager ist nicht die NSDAP-Mitgliedschaft ihres inzwischen verstorbenen Vaters oder die Tatsache, dass er als Schutzpolizist möglicherweise an NS-Verbrechen beteiligt war, entscheidend. Entscheidend ist ihre deutsche Herkunft. Drei Jahre werden vergehen, bis die Protagonistin, die gleichzeitig die Mutter der Erzählerin ist, wieder frei kommt und nach Deutschland ausreisen darf. Die Lagererfahrungen, die Zwangsarbeit unter unmenschlichen Bedingungen und der Hunger, die Gewaltwillkür und die Schikanen seitens der Wachmannschaften, zeichneten sie jedoch fürs Leben. Die Angst und die Ohnmacht sind ihr in die Seele und in den Körper geschrieben. Erst Jahrzehnte später bricht sie ihr beklemmendes Schweigen – und berichtet ihren Kindern darüber. Die Erinnerung an die Heimat wurde dabei zwangsweise zu einer Erinnerung an das Lager.

Für die Erzählerin ist es die Möglichkeit zur Selbsterfahrung, für ein tieferes Verständnis des eigenen Denkens und Verhaltens, die, wie es sich herausstellt, von den Kriegs- und Lagertraumata ihrer Mutter mitgeprägt sind. Sie braucht viele Jahre, um deren Schilderungen zu verarbeiten, einen Platz dafür in der eigenen Geschichte zu finden. Die Auseinandersetzung der Erzählerin mit sich selbst wird so zum Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit der Geschichte ihrer Familie und der deutschen Geschichte im östlichen Europa. Die Romanhandlung ist als ein Erinnerungsprozess konstruiert: Bruchstückhaft, nicht chronologisch, setzt er sich aus Rückblenden und Vorschauen zusammen. Im Vordergrund steht dabei nicht die Frage nach der politischen und individuellen Verantwortung für die Vertreibung, sondern die Frage nach Identität und Sprache, nach Ethik und Moral, nach Gut und Böse in einer politischen und existentiellen Ausnahmesituation. Gelingt der Erzählerin die „Flucht aus der Familiengeschichte“?

Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2018