Datum/Zeit
Date(s) - 12/10/2019
20:00 - 22:00
Veranstaltungsort
Kunstkraftwerk
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Leipzig, 2019. Wir schreiben das Jahr eins nach Tomasz Stańko. Der legendäre Trompeter, der noch 2016 in der Kongresshalle mit bescheidenem Auftreten und nur wenigen Tönen tausende Zuhörer verzauberte, ist nicht mehr da. Er hinterlässt eine große Lücke im polnischen, europäischen, planetarischen Jazz. Wer kann, wer wird sie füllen? Was kann Polen zur Zukunft des Jazz beitragen?
Glücklicherweise gibt es in Stańkos Heimatland Polen jede Menge junger Musiker, die mit dem gebotenen Respekt vor ihren Vorläufern, aber auch massenhaft eigenen Ideen, Spielarten und Ansätzen dafür sorgen, dass die zarte Blüte der improvisierten Musik nicht nur am Leben gehalten wird, sondern wächst und gedeiht. Wir konnten uns an der Pleiße immer wieder davon überzeugen: Robotobibok (2005), Adam Bałdych (2009), Mateusz Smoczyński (2011), das Contemporary Noise Sextet (2011), Pink Freud (2012), Maciej Fortuna (2014 & 2015), Skalpel (2014 & 2016), Natalia Mateo (2016) oder Kinga Głyk (2017) hinterließen offene Münder und spielten sich nachhaltig in die Herzen der westeuropäischen Zuhörerschaft.
Dass es in Polen von jungen und begabten Jazzmusikern nur so wimmelt, hat sich also längst herumgesprochen. Aber nicht jeder von ihnen schafft auch den dauerhaften Sprung über die Westgrenze. Um bei einem deutschen Label zu landen, muss man sich auch als ein Możdżder oder Bałdych erst einmal in vielen Alben und Projekten seine Sporen verdient haben. Und um gar von Manfred Eicher zu ECM eingeladen zu werden, muss man schon Tomasz Stańko oder Marcin Wasilewski heißen. Oder aber: Maciej Obara.
Der Altsaxofonist, Jahrgang 1981, wurde bereits von seinem Mentor Stańko gelobt als „großartiger Musiker, dessen Musik kraftvoll, tiefgründig, voller Charme und Schönheit zugleich ist“. Hierzulande war Obara trotz satter acht Alben in der Diskografie bisher ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, obwohl er mit dem polnischen Pianisten Dominik Wania und den beiden Norwegern Ole Morten Vågan (Bass) und Gard Nilssen (Drums) nun schon seit sieben Jahren Bühnen und Aufnahmestudios bespielt.
Ihr in Oslo für ECM eingespieltes Album „Unloved“ (2017) erzählt sehr persönliche Geschichten von Menschen und Orten, die Obara inspiriert haben. Im jahrelangen Zusammenspiel der Musiker haben sie zu ihrer Form gefunden und durchlaufen auf der Bühne nun das, was Obara als „Komponieren in Echtzeit“ beschreibt. Erfreulich uneitel lässt der Bandleader dabei seinen Mitmusikern genug Raum, Zeit und Luft, um ihre Brillanz aufscheinen zu lassen, und drückt doch dem Gesamtklang als akustischer Dreh- und Angelpunkt seinen akustischen Stempel auf. Der ist vor allem organisch, sanft und melodisch, konzentriert, nur bisweilen hektisch, vor allem ist er emotional, mithin: lyrisch.
JAZZthing vernahm auf dem Album „nocturne Freiflüge über leere Autobahnen zwischen Mitternacht und Morgengrauen“ und in der Tat könnte man meinen, das Auto sei nur erfunden worden, um sich damit nachts in gedrosseltem Tempo auf dunklen Landstraßen zu verfahren und dabei in der Musik des Quartetts zu verlieren.
In diesem Jahr der vielen Jubiläen erinnern wir uns nicht nur an die Gründung des Polnischen Instituts vor 50 Jahren, sondern auch an den tragischen, viel zu frühen Tod von Krzysztof Komeda im April 1969. Auch seine Handschrift scheint immer wieder durch, ohne Obaras Musik ins Altbackene kippen zu lassen – aus Komedas Feder stammt (als einzige Fremdkomposition) das Titelstück „Unloved“. Beim Blick in die unsere Gegenwart braucht sich Komeda also nicht im Grab umdrehen – die Zukunft des polnischen Jazz scheint gesichert.
Besetzung: Maciej Obara (sax), Dominik Wania (p), Ole Morten Vågan (kb) & Michał Miśkiewicz (dr)