Die Leiden des jungen Polenschreibers

OK, zugegebenermaßen ist die Überschrift etwas an den Haaren herbeigezogen. Zum einen bin ich nicht mehr so jung. Zum anderen leide ich ja nicht wirklich. Gleichwohl stecke ich in einem Dilemma. Es geht natürlich um Polen. Und weil das Schreiben sich bestens dazu eignet seine eigenen Gedanken zu ordnen, erhoffe ich mir von diesem Beitrag ein wenig Abhilfe. Sie können mich in meine Gedankenwelt begleiten, wenn Sie mögen.

Eine Seite der Medaille

Es gibt in Polen ein Sprichwort welches besagt, dass niemanden die Rosen interessieren, wenn die Wälder brennen. Damit wird ausgesagt, dass man sich nicht um Belanglosigkeiten kümmern soll, wenn wirklich Wichtiges im Gange ist, beziehungsweise wenn etwas Wichtiges zugrunde geht.

Geldregen in Polen

In Polen ist derzeit einiges los, was insbesondere in Ostdeutschland für Aufsehen sorgt. Damit meine ich den Geldregen, mit dem die regierende Partei PIS die polnischen Wähler überschüttet. Inflationsschutzschild nennt sich das und sorgt durch die zeitweise Aussetzung von Mehrwertsteuer für merklich günstigere Benzin- und Lebensmittelpreise. Davon profitieren eben auch die nach Polen fahrenden Ostdeutschen.

Hinzu gesellen sich solche Leckerbissen wie das sogenannte Familienbetreuungskapital, welches im Grunde die Verdopplung des ohnehin schon üppigen Kindergeldes für 24 Monate nach sich zieht . Außerdem das, insbesondere für polnische Verhältnisse, beträchtliche Kinderbaugeld, welches von diesem Jahr an ausgezahlt werden soll und ab drei Kindern 15.000€ einbringen kann. Die staatlichen Zuschüsse um die steigenden Energiepreise zu deckeln und die 13. bzw. 14. Rente, die auch in diesem Jahr einem Teil der polnischen Rentner zugutekommt, sollten an dieser Stelle ebenfalls nicht unerwähnt bleiben.

Turbo-Annäherung der Lebensverhältnisse

All das und einiges mehr spült immer mehr Geld in die polnischen Geldbeutel und trägt zusammen mit den unentwegt steigenden Gehältern dazu bei, dass die Lebensqualität in Deutschland und Polen sich immer weiter annähert. Davon zeugt unter anderem das sogenannte Medianeinkommen, welches in Deutschland derzeit 2000 Euro und in Polen 3000 Złoty (jeweils netto) beträgt. Wenn man bedenkt, dass die Summe von 3000 Złoty aufgrund vergleichsweise niedriger Lebenshaltungskosten in Polen etwa dem Wert von 1500 Euro entspricht, dann bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, wie rasant die sozioökonomische Entwicklung an der Oder und Weichsel derzeit voranschreitet.

Doch jede Medaille hat zwei Seiten.

Die andere Seite

Im November wurde die amerikanische Historikerin Eliyana Adler von dem polnischen Pilecki-Institut mit einem Preis für die Erforschung der Schicksale polnischer Juden in der Sowjetunion während des 2. Weltkrieges geehrt.

Das Pilecki-Institut, welches unter anderem in Berlin angesiedelt ist, setzt sich die Verbreitung der Kenntnisse über die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert zum Ziel.

Eine Art Zensurvorwurf

Die Amerikanerin  lehnte die Auszeichnung  kurzerhand ab. Die Begründung: das Institut beteilige sich daran, die Arbeit bestimmter Historiker*innen, die sich der Holocaust-Ergründung und der komplexen Kriegsgeschichte Polens verschrieben haben, einzudämmen.

Adler spielte damit auf das noch 2018 verabschiedete polnische Gesetz an, welches die Behauptung, die Polen hätten zur Vernichtung der Juden beigetragen, zunächst unter Gefängnisstrafe stellte. Während die polnische Regierung in dem Gesetz eine wirksame Maßnahme zur Abwehr geschichtlicher Verleumdungen des Landes sah, kam es seinen zahlreichen Kritiker*innen einer faktischen Zensur gleich. Die Freiheitsstrafe wurde noch im selben Jahr bei einer Neuauflage des Gesetzes aufgehoben. Der bittere Nachgeschmack ist offensichtlich geblieben.

Spionagekrimi

Im Dezember vermeldete eine an der University of Toronto ansässige Einrichtung, dass einige Größen des politischen und gesellschaftlichen Lebens in Polen im Jahre 2019 mit der israelischen Spionagesoftware Pegasus abgehört wurden. Hierzu zählten allen voran Krzysztof Brejza [kschischtof bräisa], der 2019 als Stabschef den Wahlkampf für die größte Oppositionspartei leitete. Außerdem Roman Giertych, ein namhafter Rechtsanwalt, der viele führende oppositionelle Politiker vertritt sowie Ewa Wrzosek [ewa wschosek], eine Staatsanwältin, die klar Stellung gegen die umstrittene Justizreform der polnischen Regierung bezieht.

Nachdem einige Führungsköpfe der polnischen Regierungspartei die Angelegenheit ins Lächerliche zu ziehen versuchten und unter Pegasus geflissentlich die in den frühen 1990er Jahren in Polen beliebte Spielkonsole zu verstehen vorgaben, gestand Jarosław Kaczyński [jarosuaw katschinski] Anfang des Jahres, dass der polnische Geheimdienst sehr wohl im Beitz besagter Spionagesoftware sei und diese auch selbstverständlich einsetzt.

Vorwurf der Krise der Demokratie

Die polnische Opposition spricht seitdem von der größten Krise der Demokratie seit dem Ende des Kommunismus im Jahre 1989. Andrzej Zoll [andschej zoll], der ehemalige Vorsitzende des polnischen Verfassungsgerichtshofs sieht sogar in der Hackeraffäre, sollte sie denn bewiesen werden und auf die polnischen Geheimdienste zurückzuführen sein, einen eindeutigen Grund die Parlamentswahlen von 2019 für ungültig zu erklären.

Während in Brüssel Vorbereitungen getroffen werden, eine Untersuchungsdelegation nach Warschau zu entsenden und die polnische Opposition ihrerseits eine parlamentarische Untersuchungskommission anstrebt, spielt die polnische Regierung die Vorfälle nach wie vor als politisches Theater herunter. Israel entzog unterdessen Polen (und auch Ungarn) die Berechtigung zur Nutzung der Software. Die Sache ist längst nicht ausgestanden. Fortsetzung folgt.

Medien in Polen

Im selben Monat unternahm die PIS erneut den Versuch die polnische Medienlandschaft nachhaltig umzugestalten. Kurz vor der Weihnachtspause wies das polnische Parlament die Einwände der von der Opposition kontrollierten zweiten Parlamentskammer ad hoc zurück und legte das sogenannte Lex TVN dem polnischen Staatspräsidenten zur Unterschrift vor.

Andrzej Duda verweigerte allerdings seine Zustimmung und begründete seinen Entschluss unter anderem damit, dass das Gesetz die Meinungsfreiheit und den Medienpluralismus einschränke. Damit sei die Sache abgeschlossen, mahnte er zusätzlich in einer Stellungnahme zwischen den Jahren. Angesichts der Tatsache, dass die PIS nicht in der Lage ist, die notwendige Dreifünftelmehrheit aufzubringen um das Präsidentenveto zurückzuweisen, wird er wohl Recht behalten.

Abermals im Dezember vernahmen manche deutsche Medien, dass in Polen der dort ansässigen deutschen Minderheit die Finanzierung für den muttersprachlichen Unterricht gekürzt werden soll. Die Abstriche sind spürbar und schmerzlich. Trotzdem seien sie nur der Auftakt zu einer wesentlich größeren Verkürzung der Fördermittel, die 2023 erfolgen soll.

Deutsch-polnische Beziehungen neu definiert

Um die Feiertage herum ist grundsätzlich viel passiert, was die deutsch-polnischen Beziehungen neu definiert und viele Zukunftsfragen aufwirft. Unter anderem die eine nach der Ursache und dem Ziel hassschürender Kampagnen, die von manchen polnischen Regierenden und der polnischen nationalen Medien, wie die einst öffentlich-rechtlichen Sender seit dem Regierungsantritt von PIS heißen, gegen Deutschland betrieben werden.

Vor wenigen Tagen durchlief die polnischen regierungsfernen Medien die Nachricht, dass der auch in Deutschland tätigen Hotline 116 111, die Kindern und Jugendlichen in Notlagen beratend zur Seite steht, die staatliche Finanzierung entzogen werden soll. Diese sei in den letzten Jahren ohnehin enorm beschnitten worden, soll aber im laufenden Jahr komplett gestrichen werden. Angesichts des großen Bedarfs und den Statistiken, nach denen 1200 Kinder jährlich in Polen Suizidversuche unternehmen, wurde eine Spendensammlung ins Leben gerufen. Um einen halbwegs den Bedürfnissen entsprechenden Betrieb der Hotline zu gewährleisten, wären ca. 350.000 Zloty (PLN) von Nöten. Innerhalb kürzester Zeit kam über eine Million PLN zusammen. Mittlerweile sind es beinahe zwei. Die Aktion dauert an und läuft noch 27 Tage (Stand 20.01.).

 

Dilemma erkannt?

Sind Sie soweit mitgekommen? Haben Sie mein Dilemma erkannt? Als Autor von polen.pl möchte ich vor allem Gutes und Spannendes über Polen berichten. Das Land liegt mir schließlich am Herzen und bleibt für immer meine Heimat, auch wenn Deutschland längst mein Zuhause ist. Gleichwohl fällt es mir schwer an die Rosen zu denken, wenn die Wälder brennen. Was ist also die Lösung?

Am Ende des Textes angelangt, glaube ich diese gefunden zu haben. Sie liegt, wie so oft, in der Vielfalt. Denn Polen ist und bleibt vielfältig. Es bietet Gutes und Schlechtes, Anregendes und Besorgniserregendes zugleich. Meine Aufgabe besteht also darin, das Land und die Leute, mein Land und meine Leute, mit allen Facetten zu zeigen. Denn nur dann bekommen Sie als Leser*innen unseres Blogs ein möglichst ausgewogenes und realistisches Bild von Polen. Und die Antworten auf Fragen, die Sie möglicherweise beschäftigen.