Find ich nicht gut

Warschau bei Nacht. Von Kinga Mucha

Ach ja. Polen. Dieses Polen, das für einige in Deutschland immer das zu sein scheint, was sie gerade brauchen. Ein Land ohne Autobahnen – bitte schön. Ein Land der „Kugelbomben“ und „Polenböller“, aber gern. Ein Land voller sauberer Straßen? Natürlich. Polen als Hort von Autodieben scheint indessen ausgedient zu haben. Immerhin.

Polen hält im Auge des Betrachters immer für das hin, was den Betrachter zurzeit beschäftigt. In diesem Sinne spiegelt die Wahrnehmung unseres östlichen Nachbarn oft die eigenen inneren Wünsche, Sehnsüchte aber auch Ängste wider. Im weiteren Sinne wird Polen auf diese Weise instrumentalisiert. Und das finde ich nicht gut.

Kein Müll

Thema Abfall. Kennen Sie auch diese inzwischen unzähligen Videos von diversen Vloggern und anderen Influencer, die über WhatsApp und andere Kanäle ihre „Kulturschock-Beiträge“ um die Welt schicken und so ziemlich alles, was sie in Polen antreffen, zum Beispiel die auffallend sauberen Straßen, auf das Fehlen von Menschen mit Migrationsgrund zurückführen? Für die Autoren solcher Videos liegt die Sauberkeit Polens nicht daran, dass man sich um sie bemüht (und damit meine ich vornehmlich die zahlreichen Putzkolonnen in Groß und Klein, die die polnischen Städte gefühlt alle 10 Minuten patrouillieren), sondern schlichtweg daran, dass es in Polen keine Ausländer gibt.

Ein interessanter Gedanke, der weiter gedacht werden sollte. Denn sind die Polen nicht auch Ausländer? Also für die Deutschen… Verstehen Sie, worauf ich hinaus will?

Keine Ausländerkriminalität

Apropos Ausländer.

Einige kursierende Videos preisen die Sicherheit in den polnischen Städten, an polnischen Bahnhöfen, oder allgemein auf polnischen Straßen an. Und das subjektive Sicherheitsempfinden in Polen ist tatsächlich wesentlich höher als hierzulande. Die Kriminalitätsstatistiken scheinen dies zu bestätigen. Aber sie bestätigen noch eins. Polen ist seit 2014 (einigen Daten zu folge erst seit 2016) zu einem Einwanderungsland geworden. Die steigenden Löhne und Sozialleistungen zwischen Oder und Weichsel ziehen inzwischen viele Menschen nicht nur aus dem europäischen Umland, sondern auch aus weiter entlegenen Gegenden an, insbesondere aus Asien und Lateinamerika. Der Anstieg der (organisierten) Kriminalität, die mit dieser Entwicklung einherzugehen scheint, ist etwas, was die polnischen Medien seit Längerem beschäftigt und den rechten Parteien, allen voran der Konfederacja und der PIS, Wähler in die Arme treibt. Eine Entwicklung, die in Deutschland von rechten Influencer (geflissentlich?) ausgeblendet wird. Für Sie ist Polen der wahr gewordene Traum eines kulturell homogenen Staates. Dass dieser Staat den Stein der Weisen nicht besitzt und ebenso nach einem Mittelweg zwischen Einwanderung und innerer Sicherheit, zwischen den wirtschaftlichen Interessen und gezielter Migration sucht, scheint nicht zu interessieren. Polen hat für einige WhatsApp-wütige Rechtssympathisanten als eine Postkarte auf einer völkischen Pinnwand zu bleiben. Direkt neben Ungarn und (sagen sie es den Polen ja nicht weiter!) Russland.

Marktplatz von Cieszyn.
Von Bogumil Palka

Kugelbomben und Polenböller

Das Beste kommt zum Schluss. Und zwar die inzwischen wahrlich bombig und bombastisch ausfallenden Silvesterfeier in Berlin und auch anderswo in der Bundesrepublik.

Hierzu äußern sich zwar nicht die rechten Sauberkeitsfanatiker (es würde ja gegen ihr Polenbild verstoßen), dafür aber umso mehr die deutschen Mainstream-Medien. In zahlreichen Beiträgen im Zusammenhang mit den bürgerkriegsähnlichen Zuständen, vor allem in der deutschen Hauptstadt, schwadronierten sie genüsslich über Polenböller und fantasierten auch von sog. Kugelbomben, die es an Oder und Weichsel angeblich „auf Wochenmärkten“ zu kaufen gebe.

Nun. Um es kurz zu machen: Das stimmt nicht. Weder befinden sich die „Kugelbomben“ in Polen im freien Handel (in der Tat gibt es im Polnischen gar keinen Ausdruck dafür), noch verzeichnet Polen irgendwelche Todesopfer, die auf diese de facto Sprengladungen zurückzuführen seien. Das müsste aber zwangsläufig der Fall sein, wenn sie frei erhältlich wären, meinen Sie nicht auch? Tatsächlich gab es in Polen in den letzten Jahren überhaupt gar keine Menschen, die während der Silvesternacht durch das wie auch immer geartete Feuerwerk ums Leben gekommen sind. Die polnischen Rettungskräfte wurden auch noch nie damit angegriffen. Sie werden überhaupt so gut wie nie attackiert (Silvester 2024 gab es einen Messerangriff im Osten des Landes). Raketen, die in Kinderzimmer abgefeuert werden, kommen auch nicht vor. Aber, wie mir eine Bekannte im Zuge einer Diskussion zum Thema mitteilte, liegt dies bestimmt daran, dass die Polen nun mal mir ihren Böllern umzugehen wissen und die Deutschen eben nicht. Wem dieser Glaube hilft sich besser zu fühlen, dem schenke ich den Satz. Allen anderen sei gesagt, dass inzwischen viele polnische Städte auf den üblichen Knall zum Jahreswechsel verzichten. Seit Jahren gibt es stattdessen beispielsweise Laser-Shows. Der Umwelt und vor allem den Tieren zu liebe. Die Liste der teilnehmenden Städte wird immer länger. Ich will nicht nachtreten, daher werde ich nicht sagen, wie weit wir in Deutschland davon entfernt sind.

Ich möchte meinen Beitrag mit einem kleinen Appell an alle Polen-Interessierten und die, die es noch werden wollen, beenden. Versucht das Land so zu sehen, wie es ist. Projiziert nicht eure Ängste und Erwartungen darauf. Und wenn ihr etwas nicht versteht, fragt ruhig mal nach. Zum Beispiel uns, hier bei polen.pl. 🙂