Lassen wir uns heute mal auf ein kleines Gedankenspiel ein.
Wir nehmen ein feuchtfröhliches Getänze, sagen wir den Ententanz aus den 1980ern, und geben ihm den Namen eines klassischen, grazilen Gesellschaftstanzes unseres Nachbarlandes. Sagen wir, wir bezeichnen das Gehüpfe und Geschnatter mit den Händen fortan als Wiener Walzer. Mit einer kleinen Abwandlung, natürlich, damit es sich leichter schreibt. Wiena Walza, also. Ja, das passt. Und nun erfahren wir, dass der Wiener Walzer unlängst von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt wurde.
Ist das nicht toll, dass der Ententanz es so weit geschafft hat?
Vorurteile
Ich muss gestehen, dass ich manchmal das Gefühl habe, dass die unzähligen gegenseitigen Vorurteile im deutsch-polnischen Gefüge eine echte Partnerschaft schier unmöglich machen. Nicht für immer, versteht sich, sie werden schließlich Schritt für Schritt abgebaut, aber doch auf unabsehbare Zeit. Beiträge wie diese bestätigen mich in meiner Befürchtung. Denn was in diesem, eigentlich doch gut gemeinten Artikel steht, zeigt abermals, wie tief so manche Vorstellung in den deutschen Köpfen verankert ist.
Versuchen wir sie doch mal in aller Ruhe zu ergründen.
Eine Handvoll Geschichte
Ich will nicht zu weit ausholen, oder zu dick auftragen. Aber um bestimmte Phantasien, die hierzulande über die und das Polen kursieren, nachvollziehen zu können, muss man manchmal einen kleinen Sprung in die Vergangenheit machen. Am besten in das ausgehende 18. und das gesamte 19. Jahrhundert.
In dieser Zeit, in der Polen von seinen Nachbarn, vornehmlich von Russland und Preußen aufgeteilt wurde, entstanden nämlich in Berlin und auch anderswo in deutschen Landen erstaunlich viele Geschichten über die Polen, die später in die sogenannten Polenwitze – bzw. nach ihrem Export in Übersee: Polish Jokes – gemündet sind. Ob der alte Fritz oder der Eiserne Kanzler, alle zerrissen sich das Maul über die Polen. Als ob ihnen die Heimat wegzunehmen nicht genug wäre.
Überraschung
Sie mögen sich an dieser Stelle fragen, was mein eingangs eingeleitetes Gedankenspiel damit zu tun hat? Nun, sehr viel. Denn was ich als Wiener Walzer, beziehungsweise Wiena Walza getarnt habe, ist in Wirklichkeit die Polonaise. Jener Gesellschaftstanz aus dem 18. Jahrhundert, der gleichermaßen von Adeligen wie auch von Bauern praktiziert wurde, und der heute noch jeden Abiball von der polnischen Ostsee bis zu der polnischen Tatra eröffnet. So auch den berühmten Wiener Opernball. Und das Jahr für Jahr. Polonaise (polnische Schreibweise Polonez), NICHT Polonäse!
Ganz Ehrlich
Ich finde es schlimm genug, dass die deutsche Gesellschaft es mal für lustig befand, einen würdevollen, ja fast schon majestätischen Tanz, welcher einer unterdrückten Gesellschaft die Kraft und Hoffnung auf bessere Zeiten verlieh und Komponisten wie Bach und Chopin inspirierte, durch den Kakao zu ziehen. Gelinde ausgedrückt. Aber das es immer noch versierte Deutsche gibt, die den, ich wiederhole DEN polnischen Nationaltanz für das halten, was angetrunkene Partygänger oder Fußballer im Siegestaumel so veranstalten, das erschüttert mich schon ein wenig. Und das in dem bereits erwähnten Beitrag verlinkte Video mit dem zappelnden französischen Tanzlehrer, das für die Polonaise herhalten soll, übertrifft nun wirklich alles. Zumal das Wort Polonaise gar nicht darin vorkommt. Hat dieser Umstand den Autor, bzw. die Autorin des Beitrags nicht stutzig gemacht? Wo er/sie doch alles andere, inklusive Zwei-Minuten-Google-Recherche ausgelassen hat?
Tiefer Seufzer.
Intervention
Ich werde die Tage das ansonsten kompetente und empfehlenswerte RedaktionsNetzwerk Deutschland kontaktieren und es auf den bestimmt ungewollten und unbeaufsichtigten Fehler aufmerksam machen. Ein paar Tage soll der Beitrag aber noch im Original unsere Leser*innen erfreuen. Oder zum Weinen bringen. Mich persönlich macht es auch noch wütend.
Und wer Lust hat zu sehen, was die UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt hat, der möge hier reinschauen. Oder einfach nur selbstständig Googlen.