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Die Martinshörnchen in Poznań/Posen

Blick aus dem Fenster (Foto: Rogalowe Muzeum Poznania)

Breslau war neben San Sebastian europäische Kulturhauptstadt 2016. Wer aber außer Breslau auch noch nach Posen fährt, hat die Chance, ein kleines aber außergewöhnliches Museum direkt am Rynek zu besuchen. Dieses erst 2014 eröffnete Kleinod befindet sich in einem der historischen Häuser am Rynek, direkt gegenüber dem Rathaus mit den berühmten Posener Geißböcken. Es ist das Museum des sogenannten Heiligen Martinshörnchens oder auch auf Polnisch Rogale Świętomarcińskie. Das Gebäude des Museums an sich ist schon einen Besuch wert. Die Innenausstattung wurde dabei originalgetreu restauriert und erinnert den früheren Glanz der Gebäude. Die alte bunte Holzdecke des Ausstellungsraumes ist dabei besonders eindrucksvoll.

 

Die Legende der Martinshörnchen

Die Geschichte der Martinshörnchen geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Die Form der Hörnchen soll dabei an ein verlorenes Hufeisen vom Pferd des Heiligen Martin erinnern. Ende des 19. Jahrhundert hatte ein Bäcker die Idee, Hörnchen in Form eines Hufeisens zu backen und sie an die Armen zu verteilen. Natürlich gibt es auch eine Legende zu den Hörnchen. Demnach beschloss ein Bäcker genauso Gutes zu tun, wie es der Heilige Martin tat. Daraufhin fand er ein Hufeisen auf der Straße und formte die Hörnchen nach diesem Vorbild. Welche Geschichte man als wahr betrachten möchte, ist dem Leser überlassen.

 

Tradition aus Posen

Heute wird in Posen jedes Jahr am 11. November der Martinstag gefeiert, wo viele der Hörnchen auf der Straße verkauft werden. Diese bestehen aus einem Plunderteig, der mit Weißmohn, Vanille, Datteln und Rosinen gefüllt wird. Von außen werden sie mit Zuckerglasur bestrichen und mit Nüssen bestreut. Bis heute dürfen nur Bäckereien mit einem besonderen Zertifikat ihre Hörnchen als Heiliges Martinshörnchen bezeichnen. Darüber hinaus unterliegen sie einer geschützten Herkunftsbezeichnung, daher finden sich in anderen Teilen Polens nur Hörnchen mit ähnlichen Namen.

 

Die Ausstellung

Zurück zum Museum. Es ist nicht als ein herkömmliches Museum zu bezeichnen, denn es gibt keine Ausstellung im klassischen Sinne und besteht auch nur aus einem Raum. In diesem kann man auf den Sitzbänken die Geschichte und die Herstellung der Hörnchen verfolgen. Da das Museum eher auf Kinder ausgerichtet ist, werden diese auch animiert mitzumachen. Anfangs erfolgt aber eine Einführung in den Posener Dialekt, denn die komplette Vorführung findet in diesem Dialekt statt. Somit war es auch für mich nicht nur als großer kulinarischer Fan der Hörnchen, sondern auch in Hinsicht auf die Sprache sehr interessant.

Nicht nur für Kinder ein großer Spaß (Foto: Rogalowe Muzeum Poznania)

Bei den anschließend erfolgenden verschiedenen Arbeitsschritten werden die Zuschauer dann nach vorne gebeten, um nach einer Einarbeitung mitzuwirken. So entsteht nach und nach mittels Teamwork der Besucher eins der berühmten Hörnchen. Da hilft es auch nicht zu erklären, dass man den Dialekt noch nicht so gut beherrscht – ausländische Besucher werden besonders gerne nach vorne gebeten. Bei mir erfolgte der Ausruf, dass man jetzt dringend jemanden benötige, der Deutsch spräche – sehr zur Freude aller Anwesenden; es ging trotzdem im „gwary poznańskie“ weiter. Zu den ausländischen Besuchern zählen übrigens auch Warschauer, was auf den üblichen Konflikt zwischen den verschiedenen Regionen Polens zurückgehen dürfte. Wer keine derben Witze über Warschauer hören mag, der sollte seine Herkunft lieber verschweigen. Im Anschluss bekommt jeder Besucher ein halbes Hörnchen ofenfrisch zum Probieren. Guten Appetit!

 

Das Hörnchenmuseum im Internet: www.rogalowemuzeum.pl | www.facebook.com/rogalowemuzeum

Ganzjährig finden am Wochenende auch englischsprachige Vorstellungen statt. Während der Sommersaison bei entsprechender Nachfrage auch täglich. Reisegruppen (ab 25 Personen) können überdies Buchungen in deutscher und französischer Sprache vornehmen. Ein Buchungsformular sowie die Kontaktdaten sind auf der Website zu finden.

Katharina Schuchardt

Katharina studierte Europäische Ethnologie, Klassische Archäologie und Volkswirtschaftslehre. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst an den Universitäten Posen und Kiel und verbrachte zudem einige Zeit für ihre Promotion in Oppeln/Opole. Durch ihre zahlreichen Aufenhtalte in Polen verliebte sie sich endgültig in das Land. Diese Verbindung ist bis heute geblieben und sie möchte diese Leidenschaft mit anderen teilen (E-Mail: Katharina.Schuchardt@polen.pl).

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