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Polen als Forschungsgegenstand – interdisziplinäre Plattform geht online

Schlicht kommt sie auf den ersten Blick daher, die Internetseite des Projekts Polenstudien.Interdisziplinär (kurz Pol-Int), einer neuen Plattform, die erstmals alle zu Polen Forschenden vernetzen soll.  Überwiegend in blau und weiß gehalten, mit wenig Text, dafür aber großen Buchstaben und den Logos von insgesamt 17 beteiligten Institutionen. Trotz des zunächst etwas verloren wirkenden Internetauftritts – das Angebot hat es in sich sich. Wird hier doch ein im deutsch-polnischen Umfeld längst überfälliges Projekt realisiert: ein Forum, das in den Worten der Projektleiterin Prof. Dagmara Jajeśniak-Quast als „‚Heiratsmarkt‘ für alle PolenforscherInnen“ fungiert. Neben der Vernetzung dient Pol-Int auch als Datenbank, die u. a. über aktuelle Tagungen, Stellenausschreibungen, Publikationen und die im Bereich Polenstudien engagierten Institutionen informiert.

Ein Projekt zum Mitmachen

Pol-Int lebt vom Mitmachen; denn alle Beiträge stammen von ehrenamtlich tätigen Autorinnen und Autoren. Über 80 Personen konnten bereits für Rezensionen gewonnen werden und mehr als 20 betreuen als Redakteurinnen und Redakteure verschiedene Fachbereiche. „Viele Promovierende machen mit und mein Eindruck ist, dass insbesondere auf polnischer Seite das Projekt sehr begrüßt wird, denn im Gegensatz zu Deutschland, wo es ja ‚H-Soz-u-Kult‘ gibt, das Fachforum für die Geschichtswissenschaften, fehlt ein solches Angebot bisher in Polen“, sagt Pascale Mannert, Doktorandin aus München, die bereits zwei Tagungsberichte für Pol-Int verfasst hat. „Bisher sind viele Historikerinnen und Historiker beteiligt, ich weiß aber, dass das Redaktionsteam intensiv auf der Suche nach weiteren Autorinnen und Autoren anderer Disziplinen ist“, ergänzt sie.

Eine gute Nachricht für alle, die sich einfach so für Polen interessieren, ohne eine Anbindung an eine Wissenschaftseinrichtung zu haben: Bei Pol-Int kann jeder mitmachen, der sich für die Forschung über Polen interessiert! Nach der Registrierung kann man an Diskussionen teilnehmen und selbst Beiträge verfassen. Wer Bücher rezensieren möchte, sollte allerdings Interesse an mindestens einem der von Pol-Int abgedeckten Forschungsfelder mitbringen.

Wer und was hinter Pol-Int steckt

Pol-Int wird grenzübergreifend vom Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien (ZIP) der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und dem im benachbarten Słubice gelegenen Collegium Polonicum betrieben. Das fünfköpfige Redaktionsteam ist am ZIP in Frankfurt angesiedelt. Insgesamt zwölf Institutionen, die meisten aus Deutschland oder Polen, treten als Partner auf. Sie steuern Inhalte bei und sorgen für die Bekanntmachung des neuen Projekts. Finanziert wird die Plattform von der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung mit ca. 50.000 Euro, außerdem von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und der Europa-Universität Viadrina.

Dem wissenschaftlichen Beirat gehören drei Professoren polnischer Hochschulen, eine Professorin und zwei Professoren deutscher Hochschulen sowie je ein Wissenschaftler einer US-amerikanischen und einer japanischen Universität an.

Polenstudien – ein schwieriger Begriff

Obwohl erst Ende Mai gestartet, listet Pol-Int schon eine stattliche Anzahl von über 200 Publikationen auf, von denen jeweils eine Kurzbeschreibung verfügbar ist. Geringer ist noch die Anzahl der Rezensionen, von denen es bisher ca. 40 gibt.

Weitere Bereiche sind Tagungsankündigungen und Tagungsberichte sowie Institutionen, die laut Beschreibung „interdisziplinäre Polenforschung“ betreiben. Hier sind bisher zwölf deutsche und zehn polnische Forschungseinrichtungen sowie einige andere im deutsch-polnischen Umfeld tätige Institutionen aufgelistet. Aus der Selbstbeschreibung einiger dieser Einrichtungen geht allerdings nicht hervor, inwiefern diese ‚interdisziplinärer Polenforschung‘ nachgehen.

Die deshalb etwas zusammengesetzt wirkende Liste offenbart vor allem eins: wie wenig entwickelt bisher das Feld der Polenstudien in Deutschland ist. Streng genommen erfüllen nur zwei der gelisteten Institutionen die Kriterien, die von den area studies, die sich disziplinübergreifend mit Geschichte, Kultur, Sprache und Literatur einer gegebenen Region befassen und zu denen die Polenstudien gehören, zugrunde gelegt werden: das ZIP, das Pol-Int ins Leben gerufen hat und das Aleksander-Brückner-Zentrum in Jena und Halle. In manchen area studies-Definitionen wird Wert darauf gelegt, dass nur „andere“ Regionen erforscht werden, was zur Folge hätte, dass polnische Institutionen nicht in diese Auflistung gehörten. Das widerspräche natürlich der Zielsetzung dieser neuen Plattform!

Interdisziplinarität

Auch der häufige Einsatz des Begriffs „interdisziplinär“ führt zu Verwirrung: So werden „interdisziplinäre Publikationen“ bzw. „disziplinübergreifende Rezensionen“ vorgestellt. Bezieht sich die Interdisziplinarität nun auf jede einzelne Veröffentlichung oder darauf, dass Werke verschiedener Fachrichtungen vorgestellt werden? Die bisher eingestellten Texte lassen eher auf letzteres schließen, da sie aus verschiedenen Disziplinen stammen.

Eine eigens für das Projekt formulierte Definition des Begriffs „Polenstudien“ könnte die Verwirrung aufklären. Der Projektname Polenstudien.Interdisziplinär lässt vermuten, dass es hier nicht um die streng wissenschaftliche Definition von Polenstudien geht, denn area studies sind per se interdisziplinär. Weiterhin wäre es hilfreich, wenn jede der gelisteten Institutionen in ihrer Selbstbeschreibung herausstellte, welchen Beitrag sie zu den wie auch immer definierten Polenstudien leistet.

Trotz der Verwirrung wegen Begrifflichkeiten: dem Projekt ist Erfolg zu wünschen. Denn, wie es Prof. Stephan Kudert, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats, formuliert: „Die Idee der Pol-Int-Plattform ist so überzeugend, dass man sich fragen muss, warum es sie nicht schon seit Jahren gibt. Endlich können wissenschaftliche Informationen über Polenstudien gebündelt und für interessierte Nutzer leicht zugänglich gemacht werden.“

Jutta Wiedmann

Jutta verbrachte zwei Semester ihres Politikstudiums in Warschau. Danach organisierte sie vier Jahre lang internationale Begegnungsprojekte im Museum des Warschauer Aufstands. Dabei schaute sie den Kollegen im Stefan Starzynski-Institut über die Schulter, die kulturelle Projekte rund um die dynamische Entwicklung Warschaus organisieren, um den Warschauern zu zeigen, in was für einer interessanten Stadt sie leben. Kein Wunder also, dass sie Warschau für die spannendste europäische Metropole hält! Nach einem weiteren kommunikationswissenschaftlichen Studium ist sie nun im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig. Für Polen.pl schreibt sie seit 2012. (E-Mail: jutta@polen.pl)

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  • Liebe Frau Wiedmann,

    vielen Dank für Ihren Beitrag auf Ihrem Blog über Pol-Int! Wir hoffen, dass wir auch dank Ihres Artikels Ihre KollegInnen und LeserInnen als NutzerInnen gewinnen werden. Gerne nutzen wir hier die Chance für einen Nachtrag von unserer Seite.

    Bekanntlich kann man sich über Geschmack nicht streiten – wir starten dennoch einen Versuch ? Bei unserem Design und Konzept haben wir uns an dem User orientiert und die Seite nach den neusten UX-Standards, d.h. besonders benutzerfreundlich, gestaltet. Bei Pol-Int arbeiten wir mit vielen Weißflächen; die Rahmung ergibt sich in erster Linie über den Monitor des Endgeräts. Wir sind sehr glücklich über die enge Zusammenarbeit mit professionellen Designern und Konzeptern, die u.a. Mitglieder von http://www.designmadeingermany.de/ sind, das in den letzten Jahren mit zahlreichen Preisen für das beste Web-Magazin ausgezeichnet wurde, sowie mit http://supernov.ae/.

    Die Interdisziplinarität bezieht sich nicht nur auf die Zusammenstellung der Disziplinen, die auf Pol-Int vertreten sind, sondern auf Publikationen, Projekte, Konferenzen, die auf der Seite präsentiert werden. Wir begrüßen alle Projekte, die interdisziplinär in Ihrem methodologischen Ansatz sowie theoretischen Spektrum angelegt sind.

    Auch solche Institutionen, die in ihrem Namen das Wort „interdisziplinär“ und „Polenstudien“ nicht haben oder in Polen angesiedelt sind, betreiben aus unserer Sicht Polestudien. Entscheidend für uns ist nämlich der Gegenstand der Forschung, und das ist bei allen Institutionen die Beschäftigung mit Polen.

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