Was hat Musik mit Weltpolitik und Beliebtheit zu tun? Na alles! Den Beweis dafür lieferte am Samstag wieder einmal der Eurovision Song Contest (ESC). Deutschland landete gefühlt wie immer auf dem letzten Platz. Irgendwie scheint man die Deutschen gerade nicht zu mögen. Warum nur? Rätselte unter anderem Dieter Bohlen (siehe Bild) – ein echter Experte wenn es um Antipathie geht.
Knistern Polnisch-Ukrainisch
Auch der Sieger dürfte nicht sonderlich überrascht haben. Für jene, die es aus unerfindlichen Gründen nicht mitbekommen haben – die Rede ist von der Ukraine.
Russland nahm derweil nicht teil. Statt mit fröhlichen Liedern und eingängigen Melodien um die Vormachtstellung in Europa zu eifern, entschied sich das Land ja unlängst für andere Mitteln. Für jene, die es aus unerfindlichen Gründen nicht mitbekommen haben – die Rede ist vom Krieg.
Aber es bedarf keine unerfindlichen Gründe um hierzulande nicht mitzubekommen, wie sehr es seit gestern zwischen Polen und der Ukraine knistert. Und damit ist nicht etwa das angenehme Knistern des Kaminfeuer am Heiligabend gemeint. Kein bisschen.
12 Punkte
Während die polnische Jury der Ukraine die berühmten 12 Punkte zusprach und die Moderatorin des polnischen Fernsehens eine flammende Kurzrede auf die Ukraine gehalten hat, erhielt Polen im Gegenzug 0 Punkte aus Kiew. Das hat gesessen und hat wohl bei vielen polnischen Familien, die gemeinsam mit ihren ukrainischen Gästen am Samstagabend vor dem Fernseher saßen, für Stimmung gesorgt, die man mit einem Eislöffel hätte essen können. So dicht war sie.
Das musste hohe Wellen schlagen. Und es schlug hohe Wellen.
Während viele Polinen und Polen am selben Abend ihrer Verwunderung und Enttäuschung freien Lauf ließen, tauchten im ukrainischen Internet die ersten Entschuldigungen auf. Viele Userinnen und User baten die Polen um Verzeihung für die aus ihrer Sicht unerklärliche Entscheidung der ukrainischen Jury. Selbst einer der Mitglieder der Sieger-Band – Taras Topolya, ergriff auf Polnisch das Wort und beteuerte seine Empörung über das unerhörte Urteil aus seiner Heimat.
Am Sonntag meldete sich schließlich der Vorsitzende der ukrainischen Jury. Er sprach Dankbarkeit für die humanitäre, finanzielle und militärische Hilfe der Polen für seine Heimat aus und bat darum, die beiden Sachen – Krieg und ESC, nicht miteinander zu vermischen. Gleichwohl erklärte er sich bereit, die Konsequenzen für die demokratische Entscheidung seines Ausschusses zu tragen. Einige haben angeblich seinen Rücktritt gefordert.
Die Wogen wurden endgültig von den ukrainischen Zuschauerinnen und Zuschauern selbst geglättet. Denn diese haben dem polnischen Interpreten Krystian Ochman (übrigens, das “ch” wird wie “h” ausgesprochen, nicht wie “k”) 12 Punkte gegönnt. Also so viel, wie sonst niemand in den teilnehmenden Ländern. Als diese Kunde die polnische Öffentlichkeit erreichte, ging an der Weichsel allmählich wieder die Sonne auf.
Es liegt auf der Hand, dass der ESC nicht (nur) ein Gesangswettbewerb ist. Es ist viel mehr ein Sympathieentscheid, bei dem die Weltpolitik eine signifikante Rolle spielt.
Aber wenn dem so ist, sollten wir uns fragen, wen wir nächstes Jahr hinschicken. Ich für meinen Teil plädiere dafür, all die teils fragwürdigen und kostspieligen Auswahlverfahren aufzuheben. Die brauchen wir nämlich gar nicht. Wir brauchen nur Sie: Annalena Baerbock!