Mehrdimensionale Krise

Im Sommer 2021 antwortete der belarussische Machthaber Alexander Lukaszenko auf Sanktionen seitens der EU mit einer geplanten und von ihm gesteuerten Migrationskrise. Um Druck auf die Europäische Union auszuüben, wurden mehrere tausend Menschen unter anderem aus dem Irak, Afghanistan und Syrien an die Grenzen nach Lettland, Litauen und Polen geschleust. Die bereits ein paar Monate andauernde Krise scheint noch kein sichtbares Ende zu haben.

Die ersten Migrant*innen erschienen schon im Mai an der belarussisch-litauischen Grenze. Um die Situation zu beherrschen, führte das litauische Parlament am 2. Juli den Zustand der außergewöhnlichen Situation im ganzen Land ein, am 9. November folgte der Ausnahmezustand im Grenzstreifen. Dabei hat die Mehrheit der Parlamentarier für das neue Gesetz gestimmt.

Im August entschied sich auch die lettische Regierung für den Ausnahmezustand. Die gleiche Regelung wurde in Polen am 2. September durch den polnischen Präsidenten auf Antrag der Regierung eingeführt. Die seit August anwachsende Krise an der polnisch-belarussischen Grenze brachte jedoch die tiefe Spaltung in der polnischen Politik zum Vorschein. Drei Tage später wurde auf Antrag der Opposition über die Außerkraftsetzung der Verordnung gestimmt, dabei ist die Verteilung der Stimmen dafür und dagegen zwischen der regierenden Mehrheit und der Opposition deutlich sichtbar.

Mit allen möglichen Mitteln

Von Anfang an entschied sich die Regierung, die polnisch-belarussische Grenze mit allen möglichen Mitteln zu schützen. Als sich die Zahl der Migrant*innen an der Grenze deutlich vergrößerte, wurde mit dem Bau eines Stacheldrahtverhaues begonnen. Der polnische Sejm verabschiedete bald ein Gesetz, das die Entscheidung über den Bau eines Grenzzaunes beinhaltete. Der polnische Grenzschutz verwendet auch die sogenannten “Pushbacks”, um illegale Migration zu verhindern.

Mehrere Menschenrechtsorganisationen bemängeln, dass die Methode illegal sei und Menschenrechte verletze. Außerdem sollten die Migranten zuerst die Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen. Auf die Vorwürfe antwortet der Grenzschutz, es sei möglich, Asyl zu beantragen, die Mehrheit der Migrant*innen betrachtet jedoch Polen als Transitstaat und überschreite die Grenze mit der Absicht, weiter nach Deutschland und andere westeuropäische Länder zu reisen. Nicht selten wollten sie sich mit ihren schon in Europa lebenden Familienmitgliedern verbinden. Es ist auch bekannt, dass die Methode des Pushbacks  in anderen EU-Länder benutzt wird, die versuchen, ihre Grenzen für Migranten  zu schließen.

Hilfe und Berichterstattung

Außerhalb des Gebiets, wo der Ausnahmezustand in Kraft ist, sind neben den staatlichen Sicherheitsbehörden wie Grenzschutz, Polizei und Armee mehrere Organisationen tätig. Zu Beginn der Krise haben sich mehrere NGOs zu einer Bewegung unter dem Namen “Grupa Granica” zusammengetan. Die zunächst spontane Aktion hat jetzt die Form eines organisierten Handelns, das man auf verschiedene Art und Weise unterstützen kann. Um legal zu handeln, arbeiten auch freiwillig Ärzte und Rettungsassistenten in den Gemeinden, die nicht von dem Ausnahmezustand betroffen sind. Vor Ort bildet die Caritas sogenannte “Zelte der Hoffnung”, die als Speicher mit den nötigsten Sachen (Kleidung, Essen, Medikamente) für Nichtregierungsorganisationen und Grenzschutz gelten. Migrant*innen, die an die Zelte gelangten, bekämen Hilfe.

Zu Beginn der Krise war die medizinische Versorgung der Migrant*innen ein großes Thema. Die vor Ort arbeitenden Organisationen betonten, dass auch Personen mit schlechtem gesundheitlichem Zustand an die Grenze zurückgeschoben wurden. Es fehle medizinische Hilfe überhaupt. Gegen die Vorwürfe wehrte sich der Grenzschutz. Die Sprecherin des Dienstes bemerkte, die Grenzbeamten hälfen zuerst den Migranten. In schwierigeren Fällen transportierten sie die Menschen ins Krankenhaus. Zu ihren Pflichten gehöre es auch, die medizinischen Leistungen zu finanzieren. Das tatsächliche Ausmaß der Versäumungen kann jedoch durch Journalisten vor Ort nicht festgestellt werden, da bis vor kurzem ihre Präsenz an der Grenze rechtlich untersagt wurde. Mit dem neuen Gesetz soll sich das ändern. Medienvertreter mit einer bestimmten Erlaubnis sollten nun im Grenzstreifen arbeiten dürfen.

Ein Ende absehbar?

Obwohl mehrere Wege aus dem Nahen Osten und aus Afrika nach Belarus geschlossen wurden und Flugzeuge mit Migrant*innen u. a. in den Irak zurückgeflogen sind, lässt sich nicht eindeutig feststellen, dass die Krise langsam zu Ende ist. Es bleiben weiter mehrere Tausend Menschen in immer schwierigen Umständen da. Aktuell ist auch die Frage, wie der belarussische Machthaber auf neue Sanktionen seitens der EU, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Kanada antwortet. Nicht ohne Bedeutung ist in diesem Fall die Unterstützung Russlands, das seinen engen Verbündeten nicht alleine lässt. Hoffentlich findet die verwickelte Situation ein friedliches Ende.

 

Ein Beitrag von Natalia Janiszewska