Dass die falsche Benennung der Nazi-Vernichtungslager im besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs künftig unter Strafe gestellt werden könnte, wurde auch in Deutschland intensiv verfolgt und diskutiert. Besonders besorgniserregend sind die in diesem Zusammenhang wieder aufkommenden israelisch-polnischen Debatten über Geschichte und Verantwortung in der damaligen Zeit.
Ich hege eine gewisse Skepsis, dass es mit Mitteln des Strafrechts gelingen könnte dafür zu sorgen, dass fair und richtig über die Geschichte Polens unter der deutschen Nazi-Herrschaft geschrieben wird. Aber vor allem Deutschland steht bisher zu absolutem Unrecht in der Berichterstattung als nahezu unbeteiligter Akteur da. Denn das Gegenteil ist der Fall: Nicht nur, dass Deutschland die Verantwortung für den Holocaust auf dem Gebiet des ehemaligen polnischen Staates der Zwischenkriegszeit trägt. Vielmehr ist auch der fahrlässige, geschichtspolitisch unangemessene und historisch schlichtweg falsche Umgang deutscher Medien mit dem düstersten Kapitel unserer Geschichte der Ausgangspunkt gewesen, an dessen Ende nun die Spannungen zwischen Israel und Polen stehen.
Um nur ein Beispiel unter vielen zu nennen: Im Jahr 2013 sprach das ZDF im Rahmen einer Programmankündigung von „polnischen Todeslager“ im Zusammenhang mit einer Dokumentation über die deutschen Konzentrationslager. Die Empörung in Polen war und ist groß. Gefordert wurde eine Richtigstellung und Entschuldigung – unter anderem vom polnischen KZ-Überlebenden Karol Tendera. Aber anstatt eine angemessene Entschuldigung und Richtigstellung vorzunehmen – wie es ein Großteil deutscher Medien bei ähnlicher Fahrlässigkeit tat – sah es das ZDF für nötig an, sich erst nach einem über Jahre dauernden Verfahren zu einer Entschuldigung verurteilen zu lassen. So wurde mitunter der Eindruck erweckt, als habe ein öffentlich-rechtlicher TV-Sender hier mit einer bewussten Agenda gearbeitet.
Gerade dieser Fall ist seit Jahren ein politisch hochbrisantes und der polnischen Politik und Öffentlichkeit ausgesprochen wichtiges Thema. Dass die PiS-Regierung es erst so weit treiben musste, jetzt mit strafrechtlichen Maßnahmen gegenüber der öffentlichen Rede eine vermeintlich starke Hand gegenüber solchen Falschaussagen demonstrieren zu müssen, liegt auch in der uneinsichtigen und politisch höchst unsensiblen Haltung des ZDF begründet.
Vor allem in polnischen national-konservativen Kreisen herrscht seit langem eine Skepsis und Besorgnis gegenüber historischen Debatten, die aus Sicht mancher polnischer Kommentatoren versuchen, die deutsche Schuld am Holocaust über das Thematisieren zunächst deutscher Opfer und dann ausländischer Kollaboration zu relativieren.
Wir müssen endlich anerkennen, dass die Redlichkeit der deutschen Erinnerungskultur in Bezug auf die Verbrechen Nazi-Deutschlands in Polen und an Polen die unabdingbare Voraussetzung für eine vertrauensvolle gemeinsame Erinnerungskultur und die Debatten darüber ist. Denn die Aufregung und Empörung, die in Polen beispielsweise über das Vorgehen des ZDF herrscht, wurde seitens der deutschen Politik bisher zu lange ignoriert.
Doch vor dem Hintergrund der polnisch-israelischen Debatten ist nun der richtige Zeitpunkt für ein Signal aus Deutschland. Wir müssen betonen, dass es eben keine „polnischen Lager“ gab, sondern ausschließlich nationalsozialistische Todes- und Vernichtungslager, die im besetzten Polen von den Deutschen errichtet wurden, um den Völkermord an den europäischen Juden zu vollziehen. Wir müssen betonen, dass das damals von Deutschland überfallene und besetzte Polen unter SS-Herrschaft stand und eine sogenannte „polnische Komplizenschaft am Holocaust“ historisch haltlos ist. Dazu gehört, dass der deutsche Presserat über die Sorgfaltspflicht bei der Berichterstattung für mehr Klarheit sorgt und Vorbeugungsmaßnahmen gegen derlei Falschbehauptungen entwickelt und für mehr Sensibilität wirbt. Dazu gehört auch, dass die höchsten Vertreter Deutschlands zwischen den polnischen und israelischen Regierungen vermitteln und betonen, dass es aus deutscher Sicht unzweifelhaft ist, dass die Vernichtungslager auf dem Gebiet des ehemaligen bzw. heutigen polnischen Staates deutsche Vernichtungslager waren. Der „Marsch der Überlebenden 2018“ kann hierfür ein Anlass sein.
Manuel Sarrazin, MdB (*1982)
Der Historiker ist seit 2008 Mitglied des Deutschen Bundestages und des Europaausschusses.
Dieser Kommentar erschien zuerst am 2. Februar 2018 auf manuelsarrazin.de. Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung des Autors.